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226 - Das Schädeldorf

226 - Das Schädeldorf

Titel: 226 - Das Schädeldorf
Autoren: Mia Zorn
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Vietnam. Dort wollte der Maler mit seiner Familie die Grenze unbemerkt passieren und auf vietnamesischer Seite weiter zum Mekong-Delta ziehen.
    Wenn alles gut geht, sind wir in zwei Tagen um diese Zeit in Vietnam in Sicherheit, dachte er. Sein Blick glitt in die Ferne. Am Horizont waren hinter Dunstschleiern die Umrisse der mächtigen Bäume zu erkennen, die die Flussbiegung säumten. Links und rechts des Bootes kräuselten sich dünne Schwaden verdampfenden Wassers aus dem Mekong. Es schien fast so, als wolle der Fluss sich klammheimlich aus seinem Bett davonstehlen.
    Thik Giengs Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »Da, da! Schaut nur, Delfine!« Sie stand am Bootsrand und deutete auf die Mitte des Stroms. Tatsächlich waren dort die blau-grauen Rücken der Tiere zu erkennen. Jetzt sprangen sogar zwei von ihnen in die Höhe. Lann Than sah deutlich die kurzen Schnauzen und die wulstige Stirn der Irrawaddy. Überrascht stellte er den Motor aus.
    »Das ist ein gutes Omen, Kinder, ein gutes Omen!«, rief seine Frau den beiden Jungs zu, die über Kisten und Kanister an ihre Seite kletterten. Einen Moment lang begegneten sich die Blicke der Eheleute. Offenbar erkannte Thik, dass er ihre Ansicht nicht teilte. »Das ist ein gutes Omen!«, sagte sie trotzig.
    Lann wandte sich wieder dem Schwarm zu, der sich nordwärts bewegte. Was hatten die Flussdelfine hier zu suchen? Normalerweise hielten sie sich nur im tiefen Gewässer des Mekongs auf, in den Gebieten zwischen Kampong Cham und Phnom Penh. Was hatte sie hierher getrieben?
    Plötzlich fiel ihm auf, dass sie seit über einer Stunde keinem Schiff, keinem Boot und keinem Segler aus dieser Richtung mehr begegnet waren. Nur in ihrer Richtung waren sie zweimal von größeren Schiffen überholt worden.
    Eine kalte Hand schien nach seinem Herzen zu greifen: Konnte es sein, dass die Angkar bereits den Fluss herauf kamen? Waren sie womöglich schon in Kampong Cham? Unmöglich, dachte er. So schnell können sie nicht eine Millionenstadt räumen. Oder doch? Ängstlich blickte er zur Kehre, die nur noch hundert Meter entfernt war. Was erwartete sie hinter der Biegung?
    »Lann Than, du machst mir Angst! Was ist los mit dir?« Thik Gieng schaute ihn aus funkelnden Augen an.
    Was sollte er ihr sagen? Wenn die Truppen der Angkar tatsächlich schon so weit vorgedrungen sein sollten, gab es jetzt kein Zurück mehr. Sie könnten vielleicht noch auf die andere Seite des Mekongs übersetzen. Aber dort wartete nur eine undurchdringliche Wildnis auf sie.
    »Du hast recht, mein Herz, die Delfine sind ein gutes Zeichen«, hörte er sich sagen. »Dennoch, was immer auch geschehen mag, wir sind auf dem Weg nach Phnom Penh!«, fügte er hinzu. Er beachtete nicht weiter das verdutzte Gesicht von Thik Gieng, sondern ließ sich auf die spröde Holzbank sinken. Wie ein Schlafwandler warf er den Motor wieder an. Während er stur nach vorne blickte, wiederholte er in Gedanken immer nur den einen Satz: Sie werden uns nicht aufhalten, wenn sie erfahren, dass wir nach Phnom Penh wollen!
    Trotzdem erstarb in ihm jedes Wort und alle Hoffnung, als ihr Boot die Kehre hinter sich gelassen hatte: Quer über den Fluss lag eine Barrikade aus schwimmenden Flößen. Daneben versperrten kleinere Schiffe die Fahrrinnen. Lann Than glaubte Hundertschaften von Uniformierten auf der schwimmenden Insel auszumachen. Fast mechanisch steuerte er ihr Boot darauf zu.
    Ein Schnellboot löste sich von der Barrikade und kam ihnen entgegen. »Stellen Sie den Motor aus und halten Sie Ihre Papiere bereit!«, dröhnte eine Stimme aus einem Megaphon. Der Maler gehorchte. Zumindest was den Motor anging. Thik Gieng schickte die Kinder unter die Segelplane und bedeutete ihnen, sich ruhig zu verhalten.
    Nach wenigen Minuten stierten fünf Männer in schwarzen Uniformen düster in das Gefährt der Familie. Es waren fast noch Kinder! Lann schätzte keinen von ihnen älter als zwanzig. Alle trugen ihre Maschinengewehre im Anschlag und sie machten den Eindruck, als ob sie einen Schwerverbrecher suchten. Der Maler begrüßte sie mit einer leichten Verneigung. »Meine Frau bringt Ihnen gleich die gewünschten Papiere«, sagte er mit einem viel sagenden Blick zu Thik Gieng. Die verstand und machte sich daran, einen herumliegenden Rucksack zu durchwühlen. »Suchen Sie jemanden? Oder ist ein Tanker leck geschlagen?« Lann versuchte arglos zu wirken.
    Die Soldaten schauten ihn ausdruckslos an. Einer spuckte ins Wasser. »Wo wollt ihr hin?« Er
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