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2254 - Der ewige Gärtner

Titel: 2254 - Der ewige Gärtner
Autoren: Unbekannt
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Orrien Alar hatten sie keine Furcht. Sie kannten ihn und wussten, dass er noch nie einer Kreatur etwas Böses angetan hatte - einzig und allein er wusste, dass das kurze Gedächtnis dieser Wesen keine Erinnerung mehr daran trugen, wie trügerisch seine Friedfertigkeit sein konnte: einmal, ein einziges Mal hatte das, was unter der Borke schlummerte, sich Bahn gebrochen, jenes eine Mal, das er niemals vergessen konnte, niemals vergessen durfte. Sie sahen in ihm ihren Beschützer, aber er konnte ihnen diesmal nicht helfen.
    Der ewige Gärtner näherte sich dem Ende des Waldes. Den Pfad, dem er folgte, hatte er selbst ausgetreten. Er kam an großen Büschen mit prallen gelben Früchten vorbei, die er sonst besonders gerne aß. Orrien Alar ernährte sich ausschließlich von Pflanzen, nie hatte er auch nur einen Bissen tierischen Fleischs zu sich genommen. Sein Magen zog sich vor Hunger zusammen. Seit zwei Tagen hatte er nichts mehr gegessen, aber die Ungeduld erlaubte ihm keine Rast. Er ging weiter, seine Schritte wurden schneller.
    Dann endlich teilte sich das grüne Dickicht vor ihm, und er sah den Dom vor sich aufragen, Ehrfurcht gebietend wie in den uralten Zeiten, ehe Schutzherren und deren Schildwachen schwanden und nicht zurückkehrten, vor dem Ende der Ewigkeit. Er hatte all die Jahrtausende hindurch dafür gesorgt, dass sich das Grün nicht über ihn ausbreitete und ihn überwucherte. Der Dom der Schutzherren war seit seiner ersten Stunde heilig und würde es bis ans Ende aller Zeiten bleiben.
    Orrien Alar war aufgeregt wie selten zuvor in den letzten Jahren. Es war nicht das erste Mal, dass er diesen Weg nahm und voller Ungeduld dem Ergebnis seiner Bemühungen entgegensah. Immer wieder hatte es ihn überkommen, hatte ihn gedrängt, etwas zu tun, Hoffnung und Vertrauen zu zeigen, aber noch nie war es so schlimm gewesen wie jetzt.
    Dort, wo Uralt Trummstam gewichen war, schuf er die Möglichkeit eines neuen Keimenden, aber bisher stets umsonst: Doch diesmal würde es funktionieren. Es musste funktionieren, denn viel mehr Versuche blieben ihm nicht mehr. Die Samenkapsel, die er im Hof des Domes in die Erde gesteckt hatte, war die vorletzte von einem guten Dutzend, die er einst von Uralt Trummstam genommen und aufbewahrt hatte, lange bevor der große alte Baum zu weichen begann. Alle anderen Samenkapseln waren verloren, ungekeimt, aufgelöst im heiligen Boden. Keine einzige hatte gekeimt, um einen neuen Trummstam wachsen zu lassen -und mit ihm vielleicht eine neue Zeit einzuleiten, eine bessere Zeit.
    Denn auch wenn er eigentlich nicht daran glauben konnte, dass ein Wunder geschah - die uralte Prophezeiung war ihm in all den Jahren nie aus dem Sinn gegangen: Das Schicksal der Schutzherren ist mit dem des Heiligen Baumes untrennbar verbunden. Weichen sie, so stirbt auch er, und erwacht er, so entstehen sie neu; der eine ist des andern Keim und Tod und umgekehrt ...
    Orrien Alar verhielt im Schritt, bevor er den Dom betrat, der als mächtige, zapfenförmige Kuppel vor ihm aufragte. Sein Herz klopfte heftig, der Saft floss heiß in seinem Körper, und aus den groben Poren seiner lehmartigen Haut sickerte klebrige Flüssigkeit, als plötzlich doch wieder die Hoffnung durchbrach, die sich einfach nicht verdrängen ließ - bei allen erlebten Enttäuschungen nicht.
    Aber die Angst lauerte weiter tief in ihm...
    Orrien Alar fror. Er musste sich zu jedem Schritt in den mächtigen Dom hinein zwingen, in den großen Innenhof, die aus dem Gebäude ausgesparte Stelle, wo einst Uralt Trummstam in den Himmel von Tan-Jamondi II geragt und den Dom Rogan ergänzt hatte.
    Wieder zuckten Blitze aus dem finsteren Himmel. Donner zerriss die Stille dieser heiligen Stätte, und Wind kam auf.
    Der Gärtner ging schwankend, eine grob menschenähnliche Gestalt, wie aus Lehm und Borke gefertigt. Die weit auseinander stehenden, glitzernden Kristallaugen waren starr auf den Boden vor seinen klobigen Füßen gerichtet. Er wagte nicht, den Blick zu heben, bis er endlich, es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, vor der Stelle stand, wo einst Uralt Trummstams Wurzeln in der Erde verankert gewesen waren, mehr als zwanzig Meter tief.
    Es war exakt die Stelle, an der Trummstams Ableger keimen und sprießen sollte, um einmal ein ebensolcher Riese zu werden, dessen Blätter dem ganzen Hof Schatten spendeten. Und unter dem dann ... Der Gärtner wagte nicht daran zu denken.
    Er ließ sich auf die Knie fallen. Der Regen hatte den Boden des Hofs aufgeweicht und
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