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223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

Titel: 223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall
Autoren: Residenz
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erbetteln oder zu stehlen. Als das immer weniger Erfolg bringt, beginnen sie in der Nacht Gras zu essen. Wochenlang ist die Marschkolonne bis zur völligen Entkräftung unterwegs. Wer nicht mehr weiter kann, wird von den Volkssturmmännern und den Soldaten der Wehrmacht erschossen. Yaakows Füße sind mittlerweile blutig, die Haut seiner Fußsohlen ist bis auf das Fleisch abgewetzt. Der Todesmarsch führt über Nebenstraßen immer weiter Richtung Westen, Hauptstraßen werden nach Möglichkeit gemieden. In den Dörfern und Ortschaften sind viele Menschen entsetzt über den maroden Zustand der jüdischen Kinder, Frauen und Greise. Andere dagegen betrachten die Marschierenden durchaus mit Genugtuung, gelegentlich treffen sie Beschimpfungen und Steine. Nach einer kurzen Rast in Melk gelingt es einer Gruppe von 5 kaum mehr marschfähigen Familien, sich eines Abends bei einem Dorf in Donaunähe aus der großen Marschkolonne davonzustehlen und in eine Bucht auf eine Halbinsel zu flüchten. Darunter sind auch der Bub mit den blutenden Füßen und der Rest seiner Familie. Gemeinsam wollen die Erschöpften auf die herannahende Rote Armee warten oder auf den Tod durch Entkräftung und Auszehrung. Eine Bauernfamilie aus dem Dorf, in dem sie am Abend lagerten, versucht noch Essen zu bringen, aber die Hilfe wird verraten. Eine Streife der Waffen-SS greift die Erschöpften wieder auf. »Aufstehen! Auf, auf! Marsch!« Den verzweifelten Menschen wird befohlen, weiter zu marschieren, mit Kolbenstößen und -hieben setzt man sie brutal in Bewegung und treibt sie unbarmherzig an. Die Bewachung auf dem weiteren Weg am Donauufer Richtung Westen ist scharf. Unterwegs trifft man auf eine neue Gruppe zurückgebliebener, ungarisch-jüdischer Arbeitssklaven, die erschöpfte, abgerissene Nachhut einer anderen Marschkolonne. Am 26. April 1945 kommen beide Gruppen gemeinsam in dem kleinen Ort Persenbeug an der Donau an und werden auf 3 windschiefe Holzbaracken am Ufer aufgeteilt. In den armseligen Unterkünften treffen sie auf weitere marode, ausgezehrte, ungarische Juden, wie sie selbst sind, auf Bekannte aus dem Lager in der Wiener Mengergasse, aber auch auf viele Unbekannte aus anderen Arbeitslagern, zumeist Frauen, Kinder, Halbwüchsige, ältere und alte Menschen, erschöpft, ausgemergelt, ausgehungert, verzweifelt und bar jeder Hoffnung.
    Der 55-jährige Mediziner Dr. Henrik Weisz, der als Hilfsarbeiter in der Shell-Ölraffinerie in Wien-Floridsdorf seit Monaten schwerste Zwangsarbeit zu leisten hat, hat am 7. April 1945 gerade mal 10 Minuten Zeit, um seine Habseligkeiten zu packen und sich marschfertig zu machen. Dann jagen Militär und Waffen-SS ihn und über 600 Leidensgenossen, darunter auch seine Gattin Olga, seine ältere Schwester Szeréna Weisz und seine jüngere Schwester Paula Precz-Weisz mit ihren 5 Kindern Lilli, Éva, Erszébet, Béla und György aus dem Zwangsarbeiterlager in der Mengergasse 33 im 21. Wiener Gemeindebezirk. Unter Geschrei und Gebrüll, Stock- und Kolbenhieben formiert sich eine große Marschkolonne, die Richtung Westen getrieben wird. Am Abend des ersten Marschtages, an dem keiner der Arbeitssklaven auch nur ein Stück Verpflegung, einen Bissen Essen erhält, wird die Kolonne von Gendarmen übernommen. Die Beamten bemühen sich in den folgenden Marschtagen, auf dem Weg Lebensmittel für ihre Gefangenen aufzutreiben, aber das ausgeblutete Land gibt nicht allzu viel her, schon gar nicht für Juden. Jeden Tag können ein paar der rasch schwächer werdenden Marschierenden nicht mehr weiter und werden von den Wachen einfach zurückgelassen, in Auen und Wäldern, Dörfern und Weilern, auf und neben Landstraßen und Wegen. Am 10. April 1945 erreicht die Marschkolonne Krems und wird dort am Abend im Gefängnis sehr gedrängt untergebracht. Auch der aus dem ungarischen Mezötúr im Komitat Szolnok stammende Dr. Weisz ist spätestens in Krems den Strapazen des Marsches nicht mehr gewachsen. Zusammen mit einer Gruppe von Kranken, nicht mehr Marschfähigen wird er im Häfen zurückgelassen. Zu seinem Glück im Unglück gibt es im Kremser Gefängnis neben Anstaltsleiter Hofrat Kodré eine kleine Gruppe von Justizwachebeamten, die dem NS-Regime ambivalent bis ablehnend gegenübersteht. Dr. Weisz erhält zumindest rudimentäre Unterstützung bei seinem Versuch, sich um die Erschöpften medizinisch zu kümmern. Am Morgen des 25. April 1945 bekommen er und seine Gruppe einen Marschbefehl Richtung Linz. Zu ihrer Verblüffung
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