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209 - Die fliegende Stadt

209 - Die fliegende Stadt

Titel: 209 - Die fliegende Stadt
Autoren: Susan Schwartz und Jana Paradigi
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Hau Mikh über die gepuderten Haare und das Gesicht fuhren, ihre prall gefüllten Mieder reckten und in gespielter Schüchternheit kicherten.
    »Lasst mich, Drecksgesindel, sonst kommt es euch teuer zu stehen!«, zischte Hau Mikh, verschränkte die Hände vor der Brust und strich mit der Rechten dabei beiläufig über die Wölbung des Säckchens, das in der Innentasche des Jacketts steckte. Mit dem Inhalt sollte der Bote bezahlt werden.
    »Du drohst uns, Kalkgesicht?« Der Mann in abgerissener Kleidung grunzte und schob seine Ärmel hoch über die Ellenbogen.
    Hau Mikh biss sich auf die Unterlippe, als er die tiefen Risse und Vernarbungen auf der aschfarbenen Haut des Wortführers erblickte – das Ergebnis monatelanger Arbeit mit Kalk und Kaolinpulver in den Sprühtrupps. Die ätzende Lauge griff das Fleisch an, trocknete es aus und ließ es wie ein ausgedörrtes Flussbett aufbrechen. Wer es sich leisten konnte, rieb sich den Körper vorsorglich mit Fettschmiere ein.
    »Was willst du tun? Nach deiner Herrin schreien? Mir mit deinen glanzpolierten Schühchen auf die Zehen steigen?«
    Immer mehr Pack versammelte sich zwischen den Marktständen. Die Luft war durchsetzt mit den Ausdünstungen von eingelegtem Croocfleisch, fauligen Bataats und einem allgegenwärtigen säuerlichen Aroma.
    »Überlass ihn uns!«, krähte eines der Mädchen. »Wenn es bei ihm etwas zu holen gibt, finden wir es!« Wie Schlangen wanderten ihre Finger die Knopfreihe von Hau Mikhs Hemd entlang, krochen unter den Spitzenkragen und hinterließen dabei eine Dreckspur.
    »Weg! Weg, sag ich!« Hau Mikh schlug um sich, drehte sich im Kreis und rannte in Panik gegen die geschlossene Wand von Leibern an, die sich um ihn gebildet hatte. »Ich bin doch nur ein Diener, ein Sklave – wir sind Leidensgenossen!«
    »Du meinst, wir sind gleich?« Die Frage kam aus der zweiten Reihe der Umstehenden – piepsig und bissig zugleich.
    Hau Mikh witterte seine Chance. »Ja! Ja, das sind wir.«
    Doch als sich ein Kind durch das Gedränge schob, wich die Hoffnung tiefer schuldbeladener Furcht.
    »Erkennst du mich?«, fragte das halbwüchsige Mädchen, während es zu ihm in den Kreis trat.
    Bilder von aufgerissenen Augen und tränenverschmierten Wangen zogen vor Hau Mikhs geistigem Auge vorbei – der verzweifelte Ausdruck jener Kinder, die hatten verschwinden müssen. Ebenso wie ihre Väter, nachdem sie in den Liebesdienst an der unersättlichen Herrin Crella Dvill gepresst worden waren. In regelmäßigen Abständen führte Aspergina der ewig lüsternen Mistress willig gemachte Liebessklaven zu, die Hau Mikh dann entsorgen musste.
    »Erkennst du mich, Dämon?«, wiederholte das Mädchen und fixierte ihn mit an die Hüften gestemmten Armen, während die Erwachsenen belustigt abwarteten.
    Die Kleine mochte um die dreizehn Jahre alt sein, hatte ungewöhnlich helle, bronzefarbene Haut, trug aber die typisch schwarzen Rastalocken der Ambassai, hatte den gleichen weißen Schimmer in den Augen und dieselbe undurchdringliche Miene. Hau Mikh schüttelte den Kopf. Nein, er kannte sie nicht.
    »Sieh genau hin! Ich bin das herausgeschnittene Herz meiner Mutter! Ich bin ihr Fluch – und dein Albtraum!« Die Kette aus Knochen, Steinen und Federn um ihren Hals klimperte, als sie vorsprang, ein Messer zückte und zustach.
    »Stirb, Dämon!«
    Doch wieder halfen Hau Mikh seine gut trainierten Reflexe.
    Rechtzeitig wich er vor dem Angriff Schritt um Schritt zurück.
    Die Klinge ging ins Leere, ein weiteres Mal… beim dritten Nachsetzen stieß Hau Mikh auf seinem Rückzug gegen den Ring aus Schaulustigen. Irgendjemand rammte ihm eine Faust seitlich in die Rippen, trat ihm in die Kniekehle und brachte ihn zu Fall.
    Hämmernder Schmerz raste durch seine Glieder. Er krümmte sich zusammen. Die Silhouette des Mädchens zeichnete sich über ihm gegen den rötlichgrauen Himmel ab, den Arm zum Stoß erhoben.
    Hau Mikh blieb nur noch eines, um dem drohenden Tod zu entkommen. Er griff in die Innentasche seines Jacketts, zog mit Daumen und Zeigefinger das geraffte Lederbändchen auseinander und schleuderte den Inhalt des Beutels vor sich auf die Bohlen.
    Beim Anblick der Jeandors hielt die Menge inne, starrte den münzgeprägten Reichtum für einen Lidschlag ungläubig an und stürzte sich dann darauf, sich gegenseitig wegdrängelnd und wild um sich schlagend. Ein wogender Teppich aus Händen und Armen, der Hau Mikh Gelegenheit gab, sich ungesehen auf allen Vieren davonzumachen. Keuchend
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