Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
204 - An Afras Ufern

204 - An Afras Ufern

Titel: 204 - An Afras Ufern
Autoren: Mia Zorn
Vom Netzwerk:
Meer.
    Es vergingen zwei Monde, bis der Allwissende das erste Mal sprach. In einer Sprache, die den Dankar unverständlich war. Seit dieser Zeit wurde er von den Älteren des Stammes auch »Findling mit der fremden Zunge« genannt. Er selbst nannte sich Iwasko.
    Inzwischen gehörte er zu ihnen, war ihr Medizinmann und hatte sie die fremde Sprache gelehrt. Auch wenn sich die Wächter der Weißen Wüste ihrer nicht bedienten, um sich zu verständigen, war sie doch von großem Nutzen: Viele der unerwünschten Fremden, die in die Weiße Wüste vordringen wollten, sprachen diesen oder einen ähnlichen Dialekt. Ohne dass die Eindringlinge es ahnten, konnten die Dankar ihre Pläne belauschen und entsprechend handeln.
    Jetzt verstummten die Trommeln. Bis auf Mulindwa hatten alle Mitglieder des Rates Platz genommen. Der Stammesführer stand am Rande des Felsenpodestes und verneigte sich vor der Großen Mutter im Osten und dann vor seinem Volk. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, erhob er die Stimme: »Hört mich an, Wächter der Weißen Wüste! Die Träume der Alten künden von einer Wendung der Dinge im Weltenhaus. Unsere Große Mutter wird ihr Geheimnis preisgeben, und wir werden endlich Ruhe finden vor den Fremden, die unsere heiligen Stätten entweihen!« Erneut verbeugte er sich nach Osten.
    Die Zuhörer hoben ihre Arme und riefen ihm zu: »Gesegnet sei die Große Mutter und die Frucht ihres Schoßes!«
    »Gesegnet sei die Große Mutter und die Frucht ihres Schoßes«, murmelte auch Lasoo. Crocuta neben ihm setzte sich auf und spitzte die Ohren. »Möge sie uns endlich zeigen, wo dieses verfluchte Elfenbein liegt, damit wir es aus der Wüste schaffen können«, flüsterte der Hyeenaführer und starrte grimmig in die Senke.
    Dort hatte sich Mulindwa wieder aufgerichtet und fuhr fort:
    »Doch zuvor wird sie uns prüfen, ob wir bereit sind für ihre Enthüllung!« Er klatschte zweimal in die Hände. Sofort erschienen zwei junge Burschen. Sie trugen zwischen sich einen langen Stab, an dem ein roter Sack befestigt war, in dem sich etwas bewegte. Die beiden kletterten auf die Steinplatte und legten das zappelnde Bündel vor die Füße des Allwissenden.
    Lasoo kniff die Augen zusammen. Was um alles in der Welt brachten sie da? In der Hoffnung, besser sehen zu können, stand er auf. Er bemerkte erst jetzt den ledernen Handschutz der jungen Männer, die rechts und links des Bündels hockten.
    Vorsichtig entknoteten sie die Enden des roten Stoffes. Sie nickten sich kurz zu und griffen gleichzeitig in die entstandene Öffnung. Schließlich zogen sie ein pelziges Tier aus dem roten Sack. Sie hielten es jeweils an einem Arm in die Höhe.
    Obwohl Lasoo nur den dunkelbraunen Rücken und den schwarz-weiß gestreiften Schwanz des Tieres sah, erkannte er sofort, dass es ein Lemuur war. Viele der Dankar hielten sich die kleinen Affen als Haustiere. So sehr der Lemuur gerade eben noch in dem verschlossenen Sack getobt hatte, so schlaff hing er jetzt im Griff der Männer. War er krank?
    Der Allwissende setzte bedächtig seine Augengläser auf. Er erhob sich und näherte sich dem Tier. Als er vor dem kleinen Affen stand, begann dieser zu kreischen. Er wand sich in der Umklammerung der beiden Männer, trat mit den Hinterbeinen um sich, und sein Schwanz peitschte hin und her. Lasoo glaubte sogar, ihn fauchen zu hören.
    Die beiden Krieger hatten Mühe, den Lemuur festzuhalten.
    Sie vergrößerten den Abstand zwischen sich und dem Affen und rissen an seinen Glieder. Jetzt packte der Allwissende das Tier im Nackenfell und drückte dessen Kopf nach hinten. Das Kreischen des Lemuurs verstummte. Der Heiler beugte sich vor. In seinen Händen hielt er eine kleine Lampe. Aufmerksam untersuchte er den Lemuur. Plötzlich wich er erschrocken zurück.
    Hatte das Tier gespuckt oder gar zugebissen? Lasoo konnte es von hier oben nicht erkennen. Was auch immer es getan hatte, es sorgte für Unruhe. Ein Raunen ging durch die Menge.
    Einige der sitzenden Männer sprangen auf die Füße. Auch Phillis war aufgestanden und näherte sich dem Ratspodest.
    Der Lemuur begann wieder zu kreischen und zu zappeln.
    Man steckte ihn in den Sack, und die beiden Burschen eilten mit ihm davon. Mulindwa, Nabende und die Ältesten umringten den Heiler, der gestikulierend auf sie einredete.
    Lasoo sah, wie der Kriegsminister, sich umdrehte und zum hinteren Rand der Steinplatte lief. Er rief den Kriegern, die dahinter standen, etwas zu. Eine Tasche wurde ihm gereicht und er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher