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1976 - Das Jesus-Papier

1976 - Das Jesus-Papier

Titel: 1976 - Das Jesus-Papier
Autoren: Robert Ludlum
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solle für mehr Dampf sorgen. Weiterfahren. Der Güterzug gehörte zur Ferrovia. Der Maschinist sollte sich gefälligst beeilen.
    Der Wahnsinn begann in Lagnago, wo Petride dem dortigen Fahrdienstleiter das erste von Fontini-Cristis Papieren gab. Der Mann wurde bleich und wurde zum beflissensten Beamten, den man sich vorstellen konnte. Der Priester bemerkte, wie der Mann seine Augen musterte und versuchte, das Maß an Autorität zu ergründen, das Petride repräsentierte.
    Denn die Strategie, die Fontini-Cristi entwickelt hatte, war brillant. Ihre Stärke lag in ihrer Einfachheit. Die Macht, die sie über Menschen hatte, beruhte auf Furcht - der Drohung sofortiger Repressalien seitens des Staates.
    Der griechische Güterzug war überhaupt kein griechischer Güterzug. Er war einer der höchst geheimen Ermittlungszüge, wie sie das Transportministerium von Rom ausschickte, die Generalinspektion des italienischen Eisenbahnsystems. Solche Züge rollten im ganzen Land über die Gleise, besetzt von Beamten mit dem Auftrag, den gesamten Eisenbahnbetrieb zu untersuchen und zu bewerten und Berichte zu liefern, von denen man behauptete, daß Mussolini selbst sie las.
    Die Welt machte Witze über die Eisenbahnen des Duce, aber hinter dieser Heiterkeit lag Respekt. Das italienische Eisenbahnsystem war das beste in Europa. Seine Effizienz beruhte auf den ehrwürdigen Methoden des faschistischen Staates: geheime Leistungsbeurteilung, die von unbekannten Ermittlungsbeamten erstellt wurde. Der Lebensunterhalt eines Mannes - oder der Verlust seines Arbeitsplatzes - hing vom Urteil der Esaminatori ab. Beförderungen, Zurückstufungen und Entlassungen waren häufig das Resultat einiger kurzer Augenblicke der Beobachtung. So war es kein Wunder, daß, wenn ein Esaminatore sich einmal zu erkennen gab, er mit absoluter Unterstützung und strenger Vertraulichkeit rechnen konnte.
    Der Güterzug von Saloniki war jetzt ein italienischer Zug, sozusagen vom Siegel Roms geschützt. Seine Bewegungen unterlagen jetzt nur noch den Bewilligungen, die in den Papieren enthalten waren, welche die Fahrdienstleiter erhielten. Und die Befehle in diesen Papieren waren bizarr genug, um dem Kopf des Duce selbst entsprungen zu sein.
    Die komplizierte Route mit ihren zahlreichen Umwegen begann. Die Städte und Dörfer flogen an ihnen vorbei - San Giorgio, Latisana, Motta di Levenza. Der Zug aus Saloniki reihte sich immer hinter italienischen Güterwagen und Personenzügen auf die Gleise ein. Treviso, Montebelluna und Vicenza. Nach Westen, nach Desenzano am Lago di Garda, dann nordwärts nach Bergamo und Osnago.
    Es gab nur angsterfüllte Kooperation. Überall. Als sie Como erreichten, endete die Kreisfahrt, und der Spurt begann. Sie überquerten die Schweizer Grenze bei Chiasso und erreichten Lugano, wo der Güterzug aus Saloniki seine ursprüngliche Identität bekam, nur mit einer kleinen Änderung.
    Diese Änderung wurde durch die zweiundzwanzigste Bestätigung in Petrides Tasche bestimmt. Fontini-Cristi hatte erneut die einfache Erklärung geliefert: Die Schweizer internationale Hilfskommission in Genf hatte der Ostkirche die Erlaubnis erwirkt, die Grenzen zu überschreiten und ihren Zufluchtsort am Rande des Val de Gressoney zu beliefern. Damit sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, daß die Grenzen für solche Versorgungszüge bald geschlossen würden. Der Krieg zwang immer mehr in seinen Griff. Bald würde es überhaupt keine Züge mehr vom Balkan oder aus Griechenland geben.
    Von Lugano aus rollte der Güterzug gen Norden über Bellinzona, Biasca und Airolo nach Andermatt. Es war Nacht. Sie würden abwarten, bis der Bahnhofsbetrieb eingestellt wurde. Ein Mann würde dann zu ihnen kommen und ihnen bestätigen, daß jemand eine weitere Weiche umgelegt hatte. Dann würden sie ihre lange Fahrt nach Süden fortsetzen, in die italienischen Alpen des Aosta-Tals.
    Zehn Minuten vor neun tauchte in der Ferne ein Eisenbahner auf, rannte aus dem Schatten über das Bahnhofsgelände. Die letzten hundert Meter wurde er immer schneller und hob seine Stimme.
    »Schnell! Die Weiche nach Realp ist gestellt. Sie dürfen keine Zeit vergeuden! Die Weiche ist mit der Hauptleitung verbunden, man könnte sie entdecken. Fahren Sie!«
    Wieder ging Anaxas daran, den Kesseldruck aufzubauen und die mächtige Maschine in Bewegung zu setzen, und wieder stürzte sich der Zug in die Finsternis.
    Das Signal würde in den Bergen kommen, weit oben, in der Nähe eines Alpenpasses.
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