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1825 - Schreie aus dem Fegefeuer

1825 - Schreie aus dem Fegefeuer

Titel: 1825 - Schreie aus dem Fegefeuer
Autoren: Jason Dark
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passierte. Dort nahm die Gestalt immer mehr an Festigkeit zu. Die Umrisse zitterten nicht mehr, sie zogen sich zusammen, eine Männergestalt war bereits gut zu erkennen, und es gab sie nicht nur als Schatten, sondern als einen normalen Menschen.
    Urs Meyer kehrte zurück, wie auch immer. Er war plötzlich wieder da, hatte sich regelrecht materialisiert, und er sah aus wie vor seinem Verschwinden.
    Bis auf eine Sache.
    Es ging um das Blut, das sich auf seiner Haut zeigte. Es war aus zahlreichen Poren gequollen und klebte als Perlen im Gesicht des Mannes. Meyer saß da und bewegte sich nicht. Dass sein Körper nicht völlig ruhig war, lag am Schaukeln des Wagens.
    Edith und der Schaffner taten zunächst nichts. Sie warteten ab, ob sich bei dem Zurückgekehrten etwas tat und er anfing etwas zu sagen, woran er allerdings nicht dachte.
    Noch nicht …
    Er hob nur den rechten Arm. Es sah so aus, als wollte er durch sein Gesicht wischen, was er nicht tat, denn er ließ den Arm wieder sinken. Danach öffnete er den Mund und bewegte zitternd die Lippen, doch es war nicht zu verstehen, was er sagte.
    Edith gehörte zu den resoluten Menschen auf dieser Welt. Sie war jemand, die sich so leicht nicht ins Bockshorn jagen ließ. Und auch hier hatte sie sich bereits an den Anblick gewöhnt.
    »Wo sind Sie gewesen?«, fragte sie.
    »Weg.«
    »Ja, das habe ich gesehen, aber wo sind Sie gewesen? Wie genau hat sich das abgespielt?«
    »Es war alles so anders.«
    »Wie anders?«
    Er stöhnte auf. »Ich weiß es nicht mehr. Fragen Sie mich nicht solche Dinge.«
    »Haben Sie denn Schmerzen?«
    »Nein …«
    »Auch nicht im Gesicht?«
    »Hä? Warum sollte ich dort Schmerzen haben?«
    Edith verzog den Mund. Sie musste ihm beibringen, dass sein Gesicht voller Blut war, aber das war nicht einfach, und sie schob es zunächst zur Seite.
    Nicht aber der Schaffner. Aus ihm brach es regelrecht hervor. »Weil Ihr Gesicht voller Blut ist.«
    »Was?« Meyer sprang auf und ließ sich sofort wieder fallen. »Das ist doch kaum möglich.«
    »Ist aber die Wahrheit«, bestätigte Edith.
    Jetzt endlich glaubte Meyer es. Er fühlte mit den Fingerspitzen nach und sah dann, dass sie rot geworden waren. Es war sein Blut.
    »Mein Gott, was ist das?«
    »Das müssen Sie uns sagen«, murmelte Edith, die dann den Kopf drehte, als der Schaffner das Abteil verließ. Sie ahnte, was er vorhatte, konnte ihn aber nicht davon abhalten.
    »Was ist Ihnen passiert?« Sie wollte die Frage beantwortet haben, denn sie gehörte zu den Menschen, die neugierig waren und immer erfahren wollten, was hinter den Dingen steckte.
    Er gab eine Antwort. »Man holte mich weg. Ich weiß es auch nicht. Ich fuhr in den Tunnel. Plötzlich war alles dunkel um mich herum. Das Deckenlicht war weg, und dann war ich plötzlich woanders.«
    »Ach? Und wo?«
    »In einer anderen Welt. Ja, in einer ganz anderen Welt. Ich habe ein Tor durchschritten. Das war verrückt, das war der reine Wahnsinn, aber es stimmte alles.«
    Edith fragte weiter. »Welche Welt war das denn? Hatte sie auch einen Namen?«
    »Ja, hatte sie.«
    »Und?«
    Urs Meyer machte es spannend. Er starrte die Frau länger an als gewöhnlich, bevor er die Antwort gab.
    »Ich war im Fegefeuer!«
    Sie nahm es hin. Zumindest die ersten drei, vier Sekunden, dann stutzte sie und schüttelte den Kopf. Sie lachte etwas unecht und formulierte dann die Frage.
    »Wo waren Sie?«
    »Im Fegefeuer.« Er sprach es mit einer sehr ernsten Stimme aus, dass man es einfach glauben musste. So dachte auch Edith, aber zugleich kamen ihr Zweifel.
    Das konnte nicht sein. So etwas war nicht möglich. Das Fegefeuer gab es nicht. Es war eine Erfindung der Menschen, das jedenfalls hatte sie immer geglaubt.
    Und jetzt?
    Je länger sie über die Antwort nachdachte, umso stärker wurden ihre Zweifel. Welchen Grund hatte der junge Mann, sie mit einer Lüge abzuspeisen? Eigentlich gar keinen. Er konnte ruhig bei der Wahrheit bleiben, und das war das Fegefeuer.
    Und doch merkte Edith, dass über ihren Körper ein Schauer rieselte. Sie schaute Urs Meyer an und flüsterte: »Wirklich das Fegefeuer?«
    »Ja, so ist es.«
    »Und jetzt?«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Können Sie denn erzählen, wie es im Fegefeuer aussieht? Sie sind ja dort gewesen.«
    »Nein.«
    »Wieso?«
    »Ich will mich nicht mehr erinnern. Das war alles, nur kein Spaß. Das war das Grauen.«
    »Was haben Sie denn gesehen?« Jetzt wurde Edith richtig neugierig. Bisher war das Fegefeuer für sie nur immer
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