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1813: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt (German Edition)

1813: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt (German Edition)

Titel: 1813: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt (German Edition)
Autoren: Andreas Platthaus
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zentraler Stelle die Aufschrift «Gott mit uns», doch dieser Wahlspruch, den der 1701 zum König in Preußen erhobene Hohenzollern-Herzog Friedrich seiner neuen Dynastie gab und der dann auch auf die Armee seines Staates und später des Deutschen Reiches übertragen wurde, steht über einer Skulptur des martialisch gerüsteten Erzengels Michael. Die Kirche ist direkter Verweis auf Gott und zeigt Vertrauen auf höheren Beistand, das Bild des Erzengels auf dem Schlachtfeld dagegen erhebt auf solchen Beistand Anspruch. Russisches Vertrauen in und deutsche Erwartung an Gott wurden weniger als ein Jahr nach den feierlichen Einweihungsakten vom Oktober 1913 auf die Probe gestellt, als die beiden Staaten gegeneinander in einen Krieg zogen, der die Völkerschlacht als größtes Massenschlachten der Geschichte ablösen sollte.
    Gegenüber der kostspieligeren, repräsentativeren und in ihrer symbolischen Bedeutung auch weitaus anspruchsvolleren deutschen und russischen Erinnerungskonkurrenz hielt sich das österreichische Kaiserreich 1913 mit seinen fünf übers ganze Gebiet des ehemaligen Schlachtfeldes verteilten Denkmalen sehr zurück: Auf einem jeweils bloß etwa zweieinhalb Meter hohen Sockel, in den groß die Jahreszahl 1813 eingraviert ist, breitet ein in Lauerstellung befindlicher Doppelkopfadler, das Wappentier der Doppelmonarchie, gerade seine Schwingen aus. Alle fünf Denkmale wurden in identischer Gestalt errichtet, nur durch die jeweils in den Sockelinschriften erwähnten Ereignisse unterscheiden sie sich.
    Der Entwurf stammte von Gustav König, einem Major der k.u.k.-Armee, und das Martialischste daran war die Verwendung der Bronze von eingeschmolzenen französischen Kanonen, die man hundert Jahre lang als Kriegsbeute aufbewahrt hatte, für die Adler, Schrifttafeln und Girlanden. [443] Hätte sich die Geschichte seit 1813 anders entwickelt, nämlich so, wie es die meisten Freiwilligen in den von deutscher Seite «Befreiungskriegen» genannten Feldzügen der Jahre 1813 bis 1815 gegen Napoleon erhofft hatten: zu einer Wiederherstellung des 1806 aufgelösten Reichsverbunds unter Einschluss Österreichs, dann wären diese fünf Denkmale nie errichtet worden. Aber da das deutsche Völkerschlachtdenkmal bewusst als nationale Ehrensache propagiert worden war, für die man keine ausländischen Gelder verwenden wollte – und Österreich galt seit der kleindeutschen Reichseinigung von 1871 endgültig als Ausland –, musste die Habsburgermonarchie ihre eigenen Erinnerungszeichen setzen.
    Das Holzhausener Ehrenmal ist das einzige des Quintetts, das gleich drei Kampftagen gewidmet ist, und das erste genannte Datum liegt noch vor der eigentlichen Völkerschlacht: Es erinnert an den 14. Oktober 1813, als nur zwei Kilometer südlich von diesem Punkt das Reitergefecht von Liebertwolkwitz ausgetragen wurde, die erste Kampfhandlung zwischen den beiden Hauptarmeen, ausgefochten vor allem zwischen Franzosen und Österreichern. Bis zum 18. Oktober, als Napoleon seine Stellungen über Nacht zurückgenommen hatte, aber in Holzhausen immer noch Marschall Macdonald mit seinen Truppen stehen ließ, wurde hier gekämpft und gestorben. Doch das wichtigste Datum für den Ort ist der Morgen des 16. Oktobers, an dem achtundzwanzigtausend österreichische Soldaten unter General Klenau die napoleonischen Truppen angriffen. Sie bildeten den äußeren rechten Flügel der alliierten Hauptarmee, die von Süden her gegen Leipzig aufmarschiert war, und hier in Holzhausen wie auf ganzer Breite bis nach Markkleeberg wurde vor genau hundertneunundneunzig Jahren extrem verlustreich gekämpft, ohne dass die Alliierten an diesem Tag einen wesentlichen Geländegewinn erzielt hätten.
    Der genaue Ort des Österreicherdenkmals, das hier an diese blutigen Ereignisse erinnert, liegt an einer Straßengabelung; links geht es nach Kleinpösna, rechts nach Seifertshain, Letzteres schon jenseits des Leipziger Stadtgebiets. Das Ehrenmal steht allein vor einer freien Ebene, die einen Eindruck davon erlaubt, wie das Schlachtfeld von 1813 ausgesehen hat: weite Felder, nur gelegentlich unterbrochen von Bäumen, Hecken, Zäunen. Häuser sieht man von hier aus gar nicht. Dafür erhebt sich weiter im Südwesten, jetzt umkränzt von den ersten Sonnenstrahlen, ein leichter Höhenzug. Dort muss der Kolmberg sein, um den am 16. Oktober so verzweifelt gekämpft worden ist und wo Marcellin de Marbot bei Anbruch des Tages um ein Haar Zar Alexander und König Friedrich Wilhelm
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