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1659 - Die Totengöttin

1659 - Die Totengöttin

Titel: 1659 - Die Totengöttin
Autoren: Jason Dark
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denn er hatte sich zu stark auf den Gesang konzentriert. Da kam ihm die Stille schon seltsam vor.
    Sekunden verstrichen. Irgendwo hinter der Mauer knackte es. Wahrscheinlich hatte die Kälte einen Ast brechen lassen. In der Stille klang das Geräusch überlaut. Es schien Signalwirkung gehabt zu haben, denn die Frau bewegte sich plötzlich und hob den Kopf an. Jetzt sah der Gärtner ihr Gesicht.
    Es war keinesfalls das Gesicht einer jungen Frau. Zu ihm blickte jemand hoch, der schon einige Jahrzehnte lang lebte, was ihr auch anzusehen war. Er wunderte sich nur über die hellen Augen, die aus Glas zu bestehen schienen. Dass die Gestalt in eine dicke Decke gehüllt war, bemerkte er nur am Rande. Es war der Blick der Augen, der ihn nicht nur irritierte, sondern auch sprachlos machte. Die Frau lächelte. Es konnte auch nur ein Zucken der Falten in ihrem Gesicht sein, so genau war das nicht zu erkennen. Und dann sah er noch, dass vor den Lippen der Alten keine Atemwolken standen, was hätte sein müssen.
    Er kam nicht dazu, irgendwelche Fragen zu stellen, denn die Frau erhob sich mit einer federnden Bewegung. Das verstörte den Gärtner,, denn damit hatte er nicht gerechnet. Er hätte eher gedacht, dass sie sich mühsam in die Höhe stemmen würde, statt sich so geschmeidig wie eine junge Person zu bewegen.
    Gegenseitig schauten sie sich in die Augen. Das kam schon einem Starren gleich, und Goldman hielt es nicht aus. Dieser Blick war ihm unheimlich, und so trat er sicherheitshalber einen Schritt zurück. Er wollte, wenn nötig, einen Angriff abwehren. Danach sah es nicht aus. Die Frau fing an zu summen. Sie hielt die Lippen dabei geschlossen. Ihr Blick war starr, aber auch irgendwie lauernd, und als sie eine Hand ausstreckte, war Adam nicht schnell genug. Sie bekam seinen linken Arm zu fassen und krümmte ihre langen Finger, die ihm schon überlang erschienen und plötzlich einen Schraubstock bildeten, der ihm Schmerzen bereitete.
    In ihrem Gesicht bewegte sich eine Falte. Das war der Mund. Und tief aus ihrer Kehle drangen Worte, mit denen sie den Gärtner begrüßte.
    »Hallo, schöner Mann…«
    Adam Goldman glaubte, sich verhört zu haben. Das hatte noch niemand zu ihm gesagt. Er wollte lachen, was ihm nicht gelang, und so starrte er die Frau nur an.
    »Schöner Mann«, flüsterte sie und ließ ihn eine Sekunde später los. Sein Arm sank nach unten, und Adam war nicht fähig, einen klaren Satz zu sprechen. Was er hier erlebte, das überstieg sein Vorstellungsvermögen. Er konnte nur den Kopf schütteln und wunderte sich über die Reaktion der anderen Seite, denn die Gestalt wollte plötzlich nichts mehr von ihm.
    Sie kicherte, drehte sich zur Seite und ging einfach weg. Sie nahm den Weg an der Friedhofsmauer entlang, drehte sich nicht ein einziges Mal mehr um und tauchte hinein in die Dunkelheit.
    Zurück ließ sie einen Mann, der nicht mehr wusste, was er noch denken sollte…
    ***
    Adam Goldman holte erst mal tief Luft, nachdem er einige Sekunden atemlos gewartet hatte. In seinem Kopf schwirrte es. Er hatte den Eindruck, auf einem schwankenden Untergrund zu stehen, und selbst das Gitter vor ihm schien sich zu bewegen. Das war kein Traum gewesen. Er hatte die alte Frau tatsächlich gesehen und sie auch singen oder summen gehört. Das zu begreifen fiel ihm nicht leicht, und er wünschte sich, es wäre alles nur Einbildung gewesen.
    Das war es nicht.
    Er schaute nach vorn, ohne sie zu sehen. Sie war längst von der Dunkelheit verschluckt worden, und er machte sich auch Gedanken darüber, dass sie so schnell hatte verschwinden können.
    Einiges stimmte da nicht. Zudem fragte er sich, warum sie auf ihn gewartet hatte. Jedenfalls war es ihm so vorgekommen, und daran hielt er sich auch fest. Die seltsame Person hatte etwas von ihm gewollt und sich nur nicht richtig artikuliert. Außerdem hätte er nie daran gedacht, dass sich eine alte Person so schnell und geschmeidig bewegen konnte. Wenn er im Nachhinein darüber nachdachte, dann musste er davon ausgehen, dass es sich um eine Frau mit einem jungen Körper handelte, zu dem ein altes Gesicht gehörte, was eigentlich unwahrscheinlich war. Egal, sie war weg, und er hatte keine Lust, auf der Stelle festzufrieren. Recht nachdenklich ging er weiter. Sein Gesicht zeigte einen verkniffenen Ausdruck. Da er noch immer an der langen Friedhofsmauer entlang ging, warf er hin und wieder einen Blick durch die Lücken zwischen den Stäben.
    Auf dem Gräberfeld rührte sich nichts.
    Ihm
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