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1601 - 10. Januar 1200

Titel: 1601 - 10. Januar 1200
Autoren: Unbekannt
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Stadtstreicher am Straßenrand nicht bemerkte. Joe Vermouth sah ihn dafür um so deutlicher. Mit offenem Mund starrte er den Radfahrer an, sah mit sprachlosem Staunen, wie er um die Hindernisse herumsteuerte, und folgte ihm mit den Blicken, bis er hinter einer Gruppe von Wracks, die auf der Schnauze gelandet waren und das Heck in die Höhe reckten, verschwunden war.
    Joe kratzte sich am Kopf und murmelte verstört: „Achu Liebagott! Jetzt ha' ich wirklich alles gesehn."
    Dann kniete er neben seinem verwahrlosten Lager nieder und griff unter die Plastikplanen. Die Hand kam mit einer Flasche wieder zum Vorschein. Joe löste den Verschluß und nahm einen tiefen Schluck. Als er danach die Straße entlangblickte, war der Radler endgültig verschwunden. „Naalso", sagte Joe Vermouth und rülpste.
    Joshu Ionson hatte inzwischen eine Entdeckung gemacht. Vor ihm auf der Straße ging ein Mensch.
    Er war seines Schrittes nicht sicher. Sein Gang war torkelnd. Einmal fiel er vornüber und konnte sich gerade im letzten Augenblick noch mit den Händen abstützen. Joshu trat in die Pedale. Nach wenigen Sekunden hatte er den Wankenden eingeholt. Er war zuerst sicher gewesen, daß er einen Betrunkenen vor sich hätte. Aber jetzt sah er die Platzwunde auf der Stirn des Mannes.
    Eingetrocknete Blutbahnen liefen übers Gesicht. Die Wundränder waren verkrustet.
    Der Verwundete musterte Joshu stieren Blicks. „Wo ... wo ist hier der nächste Notarzt?" fragte er. „Bin nicht sicher, daß wir heute einen auftreiben können", meinte Joshu. „Warum kommst du nicht mit mir? Ich habe ein paar Erste-Hilfe-Kurse mitgemacht und werde dich wohl verarzten können."
    Der Mann schwankte. Joshu griff ihm unter die Achsel und bot ihm Halt. „Wie heißt du?" fragte er. Der Verwundete verzog das Gesicht, als müsse er über die Frage angestrengt nachdenken. „Boris Siankow", antwortete er. „Ich bin Joshu Ionson", stellte Joshu sich vor.
    Er nahm sich Zeit, Siankow von oben bis unten zu mustern. Der Mann war ein wenig über dem Durchschnitt groß, sechs Fuß, schätzte Joshu. Die bronzefarbene Hautfarbe, die einen leisen Stich ins Rötliche besaß, wies ihn als Marsgeborenen aus. Die gelben Augäpfel quollen aus den Höhlen hervor, als litten sie unter der Basedowschen Krankheit. Die schmale, kleine Iris war grün. Boris Siankow hatte schwarzes Haar, das ihm wirr vom Schädel abstand, als wäre es statisch geladen. „Steig auf." forderte Joshu den Marsianer auf.
    Boris Siankow musterte das Vehikel, in dessen Sattel Joshu Ionson souverän thronte, mit mißtrauischem Blick. „Was ist das?" fragte er. „Man nennt es Fahrrad", antwortete Joshu. „Vor zweitausendachthundert Jahren oder so existierte es auf der Erde in Dutzenden von Millionen Exemplaren, und die Menschen benutzten es als Fortbewegungsmittel."
    „Wohin soll ich steigen?" erkundigte sich Boris Siankow verwirrt. „Das hier ist die Lenkstange", sagte Joshu. „Schwing dich drauf. Die Beine läßt du baumeln.
    Halt dich an der Stange fest. Entspann dich. Verkrampf dich nicht, sonst kann ich nicht lenken."
    Boris tat, wie ihm geheißen war. Mit einiger Mühe setzte sich das doppelt belastete Gefährt in Bewegung. War es Joshu auf dem Herweg schon schwergefallen, den notgelandeten Gleitern auszuweichen, so wurde dies jetzt fast zur Unmöglichkeit. Aber Joshu schaffte es, wenn ihm auch trotz der morgendlichen Kälte der Schweiß ausbrach.
    So geschah es, daß sich zum erstenmal seit den mehr als 27 Jahrhunderte in der Vergangenheit liegenden Tagen der Dritten Macht wieder ein Fahrrad durch die Hauptstadt bewegte. Der Passagier war ein Marsianer, der Pilot ein Afroterraner aus Darien am Altamaha River.
    Bedauerlich war an der Sache nur, daß es keine Augenzeugen des historischen Ereignisses gab.
    Oder halt! Da war doch einer. Joe Vermouth hatte es sich auf dem Randstein bequem gemacht und nahm das flüssige Frühstück zu sich, d. h. er nuckelte an seiner Flasche. Da hörte er Stimmen und sah auf. Hinter der Gruppe Gleiter hervor, die auf dem Bug standen und das Heck in die Höhe reckten, kam das merkwürdige Vehikel, das er zuvor schon einmal gesehen und für eine Fata Morgana gehalten hatte. Nur trug es diesmal gleich zwei Fahrgäste. Joe rieb sich die Augen und starrte die beiden Männer an. Sie nahmen ihn nicht wahr. Das Stangenfahrzeug pendelte die Straße hinunter und entschwand schließlich den Blicken des Frühstückenden.
    Joe schüttelte den Kopf und nahm einen letzten Schluck
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