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1601 - 10. Januar 1200

Titel: 1601 - 10. Januar 1200
Autoren: Unbekannt
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in jedem Fahrzeug mindestens eine Leiche zu finden. Aber aus der Nähe betrachtet, wiesen die Gleiter nur oberflächliche Beschädigungen auf. Die fünfzehn Fahrzeuge, die Joshu inspiziert hatte, waren allesamt leer gewesen. Nach der Notlandung hatten sich Piloten und Passagiere, wahrscheinlich unter Schockeinfluß stehend, zu Fuß auf den Weg gemacht.
    Es wurde allmählich Tag. Das grelle Weißgelb der Straßenbeleuchtung vermengte sich mit dem fahlen Grau des jungen Morgens. So leer hatte Joshu Ionson die Sheffield Mall noch nie gesehen.
    Kein Mensch war unterwegs. Joshu hatte eine Idee. Er wollte wissen, wie es weiter stadteinwärts aussah. Er ging ins Erdgeschoß hinunter - über die Treppe, versteht sich; der Antigravlift funktionierte nicht mehr - und öffnete die Tür eines Lagerraums, in dem er im Lauf der Jahre alles zusammengetragen hatte, was ihm an noch brauchbarem, aber im Augenblick nicht benötigtem Gerät in die Hände gefallen war. Joshu betrachtete sich als Sammler, allerdings einen von der wenig diskriminierenden Sorte. Lep Wagner hatte ihn deswegen schon etliche Male ausgelacht und ihm erklärt, von Sammeln könne bei ihm keine Rede sein; er sei ein Alles-Behalternix-Wegwerfer.
    Solche Sticheleien störten Joshu wenig. Wie hätte er vorhin Nachrichten hören sollen, wenn er sich nicht vor Jahren das antike Fernsehgerät zugelegt hätte?
    Er wußte nicht mehr, wo er das Fahrrad herhatte. Natürlich stammte es nicht aus der Zeit, in der Fahrräder serienmäßig hergestellt wurden und sich Menschen in Massen auf Fahrrädern durch die Straßen der Städte bewegten. Dann wäre es ein echtes Museumsstück gewesen. Es war ein relativ moderner Neubau, allerdings dem Vorbild haargenau nachempfunden. Joshu hatte das Radfahren auf dem Fabrikhof geübt und es zu einiger Fertigkeit gebracht. Aber das lag jetzt auch schon wieder Jahre zurück. Er zog das Rad unter dem Gerumpel hervor und stellte fest, daß die Reifen platt waren. Die Luft war entwichen. Für Joshu war das kein Problem. Am Rahmen des altmodischen Vehikels war eine Luftpumpe befestigt, mit der die Reifen wieder aufgepumpt werden konnten. Die Antriebskette, die vorne über ein großes und hinten über eines von mehreren kleineren Zahnrädern lief, verursachte ein quietschendes Geräusch, wenn man die Pedale bewegte. Auch dafür gab es Abhilfe. Unter dem Sattel hing, ebenfalls am Rahmen, eine kleine, dreieckige Tasche aus Leder. Das Leder war brüchig, aber im Ölkännchen, das Joshu aus der Tasche hervorzog, gluckerte es noch so fröhlich wie vor Jahren. Er gab der Kette, wonach sie verlangte: eine gehörige Dosis Schmiermittel.
    Dann machte er sich auf den Weg. Draußen war es noch ein wenig heller geworden. Ein leichter, kalter Nieselregen hatte eingesetzt. Joshu dachte darüber nach, ob wohl - da alle syntronischen Geräte ausgefallen waren - NATHAN ebenfalls aufgehört hätte zu funktionieren. NATHAN, der Riesencomputer im lunaren Untergrund, war für die Kontrolle des terranischen Wetters verantwortlich. Wenn NATHAN nicht mehr arbeitete, dann konnte man sich für den Rest dieses Winters auf einiges gefaßt machen.
     
    *
     
    Etwa um sieben Uhr kroch der Stadtstreicher unter den Plastikplanen hervor, die ihm während der Nacht als Schutz gegen die Kälte gedient hatten. Sie nannten ihn Joe Vermouth; seinen richtigen Namen hatte er längst vergessen. Joe hätte sich eigentlich in dem engmaschigen sozialen Netz verfangen müssen, das die terranische Gesellschaft des 12. Jahrhunderts für die schwächsten ihrer Mitglieder geknüpft hatte. Aber Joe Vermouth und ein paar andere von seiner Art legten keinen Wert darauf, von irgendeinem Netz eingefangen zu werden - weder vom sozialen noch von einem anderen. Mit der ihm angeborenen Schläue hatte Joe es immer wieder verstanden, sich den Schlingen der staatlich verordneten Wohltätigkeit zu entziehen.
    Er arbeitete sich also um etwa sieben Uhr aus seinem Nachtlager hervor, reckte sich, gähnte und blinzelte mißtrauisch zu dem grauen Himmel empor. „Ich dachte, sie hätten für heute Sonnenschein versprochen", brummte er mißmutig und stand auf.
    Das war der Augenblick, in dem Joshu Ionson auf seinem Fahrrad angebraust kam. Joshu hatte keine Mühe, sich im Sattel zu halten. Aber ein geübter Radfahrer war er noch lange nicht. Es kostete ihn Konzentration, zwischen den überall verstreut liegenden Gleiterwracks hindurchzumanövrieren, ohne anzustoßen. Es war daher kein Wunder, daß er den
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