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157 - Das Erbe der Alten

157 - Das Erbe der Alten

Titel: 157 - Das Erbe der Alten
Autoren: Jo Zybell
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nichts.«
    »Was redest du da, Baumsprecher?«, sagte die alte Wega.
    »Unsere Art ist es, Leben zu erhalten, und nicht, es verrinnen zu lassen.«
    »Unsere Art ist es auch, dem Leben Untertan zu sein und zu lauschen, was es will.« Mit dem Messer deutete Vogler auf den Bewusstlosen. »Dieser da hat an der Ordnung des Lebens gerüttelt und sich schwer an ihr versündigt. Er hat getötet. Menschen und Bäume.«
    Ein Raunen ging durch die Menge der Umstehenden. Die alte Wega sperrte ihren zahnlosen Mund auf, Uranus lauerte aus schmalen Augen. Doch keiner zweifelte, denn alle wussten, wie gut Vogler die Sprache der Buschgeller, Nektarsauger und Siebentöner beherrschte. Seine gefiederten Kundschafter brachten ihm täglich neue Nachrichten aus den Tiefen des Waldes; hin und wieder sogar aus den Städten.
    »Er hat Menschen unseres Volkes und ihre Korallenbäume getötet.« Der Baumsprecher stand auf und hob die Klinge.
    »Was aber noch unbegreiflicher ist: Seine wohl tödliche Wunde schlug ihm einer von uns. Ein Baumsprecher.«
    Rufe des Entsetzens wurden laut. Einige wichen erschrocken zurück, andere pressten die Hände an die Wangen, manche begannen zu weinen.
    »Wie heißt der Frevler?« Mit geschwollener Brust und grimmiger Miene stand der junge Uranus zwischen dem Verwundeten und den Sippenangehörigen. »Er muss sich unter dem Sühnebaum verantworten! Wie heißt er?«
    Vogler musterte ihn solange, bis der Junge den Blick senkte.
    »Es reicht, wenn ich es ertragen muss, seinen Namen zu kennen.«
    »Eatrragen, eatrragen«, krächzte der Siebentöner.
    »Kampf oder Versöhnung«, sagte Vogler. »Das ist jetzt die Frage! Hört meine Weissagung!« Mit dem Messer zeigte er auf den Schwerverletzten. »Wenn der da überlebt, wird Frieden sein. Wenn er stirbt, wird es den zweiten Bruderkrieg geben. Also gebt ihm zu trinken und sonst nichts, damit das Leben selbst sein Urteil fällen kann…«
    ***
    Die Transportkapsel verursachte nicht das geringste Fahrgeräusch. Matthew Drax fröstelte. Der Eindruck, in ein Loch von kosmischen Ausmaßen gestürzt zu sein und bald im Nichts zu landen, beschlich ihn. Unheimlich!
    Er sah die fragenden Blicke der drei Waldmänner, er spürte den neugierigen Blick Chandras im Nacken. Sie gingen ihm auf die Nerven mit ihren Fragen. Er brauchte Zeit und Ruhe, um zu verarbeiten, was er da unter dem Marsboden am Seeufer gesehen hatte. Die Gewölbe, die Tunnelröhren, die Inschrift in der Zentralkuppelhalle – der Kopf schwirrte ihm von all diesen Eindrücken; und von den Gedanken, die sie bei ihm aufgewirbelt hatten.
    »Dieser Quattol also hat ihnen die Schrift der Alten beigebracht«, drängte Chandra. »Woher kannte er sie?«
    »Er heißt Quart’ol«, verbesserte Matt, ohne jedoch auf ihre Frage einzugehen. Wollte er seinen Begleitern denn wirklich schon offenbaren, was er bislang nur vermuten konnte? Hatte er nicht schon zu viel preisgegeben; ihnen, die ihn ausspioniert, bewacht und entführt hatten?
    Er stellte die Sauerstoffzufuhr ab und nahm die Atemmaske von der Nase. Kapsel Nummer drei ging zur Neige.
    »Was war das für ein Freund?« Chandra Tsuyoshi saß drei Stufen über Drax auf der asymmetrisch geschwungenen Armlehne eines Sessels, der für menschliche Körpermaße zu niedrig, zu eng und zu unbequem war – auch dies ein Indiz für Matts These. Sie und die drei Waldmänner wollten von ihm wissen, wieso er die Inschrift in der Zentralkuppel der alten Wohnanlage hatte lesen können. »Und warum ›stand er Ihnen so nahe wie nie jemand zuvor oder danach‹? Waren Sie mit ihm verheiratet?«
    Drax stutzte und blickte zu Windtänzer und seinen Schülern, als wollte er sie auffordern, ihm beim Verständnis der Frage auf die Sprünge zu helfen. Dann begriff er und lachte laut auf.
    »Nein, nein! Ich stehe nicht auf Männer, falls Sie das meinten…«
    Und plötzlich stand ihm seine Geliebte vor Augen, seine wilde Aruula. Von der er nicht einmal wusste, ob sie noch lebte – oder noch lange zu leben hatte. Augenblicklich verging ihm das Lachen und er senkte den Kopf. »Nein. Er ist – oder war – einfach ein sehr guter Freund.« Schnell hatte der Mann aus der Vergangenheit sich wieder unter Kontrolle.
    »War?«, fragte Schwarzstein. »Ist er tot?«
    Drax zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich nicht.« Er hockte auf den Stufen zum Instrumentenpult. Vor den schmalen, aber langen Fensterovalen an den Längsseiten der Kabine war es einfach nur schwarz. Schwer zu sagen, mit welcher
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