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157 - Das Erbe der Alten

157 - Das Erbe der Alten

Titel: 157 - Das Erbe der Alten
Autoren: Jo Zybell
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übrigens Uranus. Vogler hatte ihn im letzten Sommer als Schüler zurückgewiesen. Deine Zeit ist noch nicht da, hatte er ihm damals beschieden. Wortlos streckte der Baumsprecher den Arm aus. Uranus überließ ihm die Klinge. »Zieht ihm die schmutzigen Lumpen aus, reinigt seine Wunde und gebt ihm zu trinken.« Vogler winkte den Umstehenden.
    Zwei Frauen fühlten sich angesprochen. Sie gingen vor dem Verwundeten in die Hocke. Beide genossen einen guten Ruf als Heilerinnen, die alte Wega sogar weit über die Waldhänge des Elysium Mons hinaus.
    Während die einen den fiebernden Städter aus seinen Kleidern schnitten und schälten und die anderen Wasser herbeischafften und ihn zu waschen und zu tränken begannen, drehte Vogler das Messer zwischen den Fingern. Angelockt durch den Reflex eines Lichtstrahls auf der Klinge, flog Faust herbei und ließ sich auf dem Knie seines menschlichen Gefährten nieder.
    Vogler seufzte leise, während er das Messer betrachtete.
    Baumsprecher des Waldvolkes benutzten solche Messer; auch er besaß eines dieser Art. Die Schmiede stellten es ausschließlich für sie und die Heiler her; um Laub, Kräuter und Blüten zu ernten oder um Parasiten und Symbionten aus den Baumkronen zu schneiden. Auf dem schwarzen Griff war ein Zeichen eingeschnitten, ein kunstvoll gestaltetes W.
    »Es muss nicht sein, dass einer von uns es getan hat«, murmelte Vogler bei sich selbst. »Vielleicht hat es jemand gestohlen und dann missbraucht…«
    »Villeikt, villeikt…« Der Siebentöner neigte den langen Schädel zur Seite. Es sah aus, als würde er zweifeln, und Vogler, der die Wahrheit längst ahnte, stimmte ihm innerlich zu.
    Er stand auf, der Siebentöner schwang sich zurück in das Weißholz. Vogler tat vier Schritte und ging vor dem Städter in die Hocke. Während seine Gefährten dem Verletzten die Wunden wuschen, betrachtete er ihn genauer. Der Mann hatte kurzes graues Haar. Sein schweißnasses Gesicht war breit, seine Muskulatur sehr ausgeprägt – vor allem an den Beinen, den Armen und im Brust- und Nackenbereich. Überhaupt kam er dem Baumsprecher ungewöhnlich kräftig gebaut vor.
    Voglers Blick fiel auf das linke Handgelenk des Städters. Ein breites schwarzes Armband hielt dort eine große flache Scheibe fest. »Gebt mir das Ding von seinem Arm.«
    Sie trockneten den Fremden ab, legten einen Verband aus dem Brei gewisser Wurzeln über seine eiternde Stichwunde am Rücken und klebten Korallenbaumblätter darüber. Behutsam drehten sie ihn auf den Rücken. Dann erst löste Uranus das Armband und reichte es seinem Baumsprecher.
    In diesem Moment schlug der Verwundete einen Atemzug lang die Augen auf. Er schielte ein wenig. Schwer zu sagen, ob er seine Umgebung überhaupt wahrnahm.
    Vogler stand auf, ging zurück zu seinem Baum, setzte sich wieder auf eine der unteren Wendelstufen und widmete sich dem Armband und der flachen Scheibe daran.
    Vogler wusste, dass er einen PAC in Händen hielt, einen persönlichen Armbandcomputer. Viele Städter trugen so ein Ding mit sich herum. Vogler war auch im Bilde über den Nutzen eines solchen Dings: miteinander sprechen, obwohl man fern voneinander war; Musik hören, obwohl keine Musikanten in unmittelbarer Nähe aufspielten; Nachrichten hören, von einem Boten, der einem nicht gegenübersaß; Erinnerungen, Adressen, Botschaften schreiben; und so weiter…
    Auf der Rückseite des Armbands war ein Name eingeprägt.
    Carter Loy Tsuyoshi, las Vogler. Er zog die Brauen hoch und atmete tief ein. Die vom Hause Tsuyoshi galten als die einflussreichsten Städter. Seit ein paar Tagen tönte der Wald nur so vom Namen Tsuyoshi; vor allem vom Namen dieses Tsuyoshis.
    »Carter Loy Tsuyoshi«, murmelte Vogler. Seine Ahnungen verdichteten sich zu einer Gewissheit, die ihm das Herz zusammenschnürte.
    »Wir sind so weit«, sagte die alte Wega. Der verwundete Städter lag gewaschen, in eine Decke gehüllt und mit gereinigten Wunden in der Kuhle zwischen den Wurzelsträngen. Er war ohne Bewusstsein, und er glühte. »Ich werde ihm ein wenig von meiner Medizin brauen, vielleicht überlebt er das Wundfieber und den Blutverlust dann.«
    »Nein«, sagte Vogler. »Das wirst du nicht tun.«
    »Nein, nein«, krächzte Faust.
    »Dann wird er sterben«, sagte Uranus.
    »Vielleicht, vielleicht auch nicht.« Vogler wiegte das Messer in den Händen. »Kocht Wasser mit ein paar Weißholzblättern ab und tut ein wenig Wurzelpulver hinein. Davon könnt ihr ihm zu trinken geben. Sonst
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