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1280 - Der Engel und sein Henker

1280 - Der Engel und sein Henker

Titel: 1280 - Der Engel und sein Henker
Autoren: Jason Dark
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John, sie können mir nichts anhaben.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich in dem Augenblick, wenn sie mich treffen, nicht mehr bin. Oder nicht mehr so bin.«
    Ich gab zunächst keine Antwort, runzelte die Stirn, dachte nach und kam zu einem Ergebnis, das ich nicht lange für mich behielt. »Wenn Sie nicht mehr sind, dann sind Sie verschwunden, oder? Wie konnten die Kugeln Sie dann treffen?«
    Sie schaute mich sehr scharf an. »Es ist nicht einfach, das zu erklären, und ich denke, dass Sie mir auch glauben wollen, sonst hätte Purdy Sie nicht geschickt. Ohne dass es sich angeberisch anhört, muss ich Ihnen sagen, dass ich etwas Besonderes bin. Etwas, das ich auch durch meine psychologischen Kenntnisse nicht erklären kann. Ich bin dann nicht mehr ich selbst. Da hat jemand anderer meine Funktion übernommen.«
    »Wer?«
    Sie hob das Weinglas an, ohne zu trinken. »Mein Schutzengel ist es…«
    Ich hielt mich zurück, doch die Erklärung hallte schon in meinem Kopf nach. Okay, ich war einiges gewöhnt, hatte unglaubliche Dinge erfahren, und jetzt kam dieses. Eine Erklärung, die ich kaum in mein Denkmodell hineinbekam, und ich holte mir wieder die Szene in der Wohnung ins Gedächtnis zurück.
    Es war auf Lavinia Kent geschossen worden, aber die Kugeln hatten nicht sie getroffen, sondern einen anderen, den Schutzengel, der ihre Stelle eingenommen und ebenso ausgesehen hatte wie sie.
    Denn ich konnte mich an keine Veränderung erinnern.
    »Sie glauben mir nicht, John?«
    Ich lächelte versonnen und sagte dann: »Was heißt hier glauben oder nicht glauben. Zunächst mal denke ich nach.«
    »Tun Sie das.«
    Es konnte durchaus stimmen. Da brauchte ich nur an meine Erfahrungen zu denken, die ich mit Engeln gemacht hatte. Es gab da so einige, und sie konzentrierten sich auch nicht nur auf einen Ort in der Welt, sondern spannten sich querbeet.
    Viele Menschen glauben an Engel. Manche haben sie gesehen. Dazu gehörte auch ich. Aber ich hatte die Engel nicht als pausbäckige Geschöpfe erlebt, die ihre Trompeten bliesen, ich kenne sie in den unterschiedlichsten Formen, und sie waren auch nicht immer freundlich. Da brauchte ich nur an Belial, den Lügenengel, zu denken oder an den neutralen Raniel, der sich seine eigene Gerechtigkeit geschaffen hatte. Man konnte die Engel durchaus in gute und in böse Wesen einteilen. Von welcher Art es mehr gab, das war mir unbekannt.
    Lavinia Kent lächelte mich an. »Hat es Ihnen vielleicht die Sprache verschlagen, John?«
    Ich blickte in ihr Gesicht, dessen Wangen eine leichte Röte bekommen hatten. »Nein, so ist das nicht, Lavinia. Ich denke noch über Ihre Worte nach.«
    »Die Sie nicht akzeptieren können.«
    »Moment, Moment, das will ich nicht sagen. Ich kann sie schon akzeptieren. Das ist nicht das Problem, aber ich muss mir meine Erfahrungen mit Engeln durch den Kopf gehen lassen.«
    »Dann glauben Sie an diese Wesen?«
    »Nicht nur das. Ich weiß, dass es sie gibt.«
    »Wunderbar.«
    Ich wiegte den Kopf. »Ob das so wunderbar ist, kann ich nicht beurteilen. Ich für meinen Teil habe gewisse Probleme damit. Aber darum geht es nicht, denke ich. Sie sind wichtiger, nehme ich mal an. Und ich gehe weiterhin davon aus, dass Purdy Prentiss mich nicht nur zu Ihnen geschickt hat, damit ich Sie im Ernstfall unterstütze, hier geht es auch um Sie persönlich.«
    »Ja.«
    »Genau das hätte ich gern genauer gewusst.«
    Ich hatte einen bestimmten Punkt bei ihr getroffen, das sah ich der Psychologin an. Sie zeigte für einen Moment einen nachdenklichen Ausdruck, fasste nach ihrem Glas, trank und wirkte dabei etwas unkonzentriert. Der Blick verlor sich in ihrem Innern.
    »Purdy Prentiss weiß, wer ich bin. Wir haben uns durch Zufall kennen gelernt. Man kann mich als Phänomen einstufen. Zumindest hat das Purdy getan. Sie hat sehr genau gesehen, dass ich anders bin als die normalen Menschen. Um es auf einen Nenner zu bringen, John. Ich habe einen intensiven Kontakt mit meinem Schutzengel. Und nicht nur das. Dieser Schutzengel nimmt seine Funktion auch wörtlich, denn er beschützt mich. Ja, er steht an meiner Seite, und er ist auf eine gewisse Art und Weise sogar sichtbar, was Sie ja auch erkannt haben.«
    »Nein, Lavinia, ich habe nur Sie gesehen.«
    »Stimmt. Das war in diesem Augenblick der Engel. Genau in dem Zeitpunkt, als geschossen wurde.«
    Ich hielt zunächst meinen Mund, denn diese Überraschung musste ich erst mal verdauen, obwohl ich ja dabei gewesen war. Ich hatte nichts anderes gesehen als
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