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1265 - Die heilende Gottin

Titel: 1265 - Die heilende Gottin
Autoren: Unbekannt
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waren dabei, die Stufen von dem unaufhörlich herabrieselnden Schmutz zu säubern, der von den zahllosen Schornsteinen ausgeworfen wurde.
    Sie folgten ihm und beseitigten die Spuren, die er auf dem weißen Gestein der Treppe hinterließ.
    Keiner von ihnen wagte, den Kopf zu heben und ihn anzusehen.
    Ksoundoksä stieg in die Kabine des Motorwagens, der am Fuß der Treppe parkte. „Zurück zu meinem Haus", befahl er dem Fahrer, der schweigend hinter dem Steuer hockte und nun mit der umständlich erscheinenden Prozedur begann, mit der der Motor gestartet wurde. Nachdem er mehrere Hebel bewegt, Knöpfe gedreht, gezogen oder hineingedrückt hatte, sprang der Motor knatternd an, und der Wagen setzte sich mit einem Ruck in Bewegung, so daß der Kidowhtar-Darhan hart in die Polster geworfen wurde. „Welch großartige Erfindung", sagte Ksoundoksä. „Für mich ist immer wieder überraschend, daß ich keine Zugpferde davor sehe."
    Der Wagen rumpelte über eine unebene Straße in eine düstere Welt hinein, die in scharfem Kontrast zu dem Haus Ghrou-Thars stand. Die Häuser waren schwarz von dem Schmutz, der von den industriellen Anlagen ausgeworfen wurde. Die grauschwarzen Gestalten, die sich zwischen den Häusern bewegten, waren zumeist nur mit einem Lendenschurz bekleidet. Öl- und Gaslampen spendeten nur wenig Licht, und durch das gewaltige Dach drang kaum ein Sonnenstrahl bis hier unten hin. Es überspannte das gesamte Tal Thaema-Thahar.
    Ksoundoksä machte sich keine Gedanken über den Schmutz. Der war allgegenwärtig. Es gab nur wenige Oasen der Sauberkeit - das Haus von Ghrou-Thar, den Tempel und noch ein gutes Dutzend Häuser von anderen Reichen mehr. Überall sonst war Schmutz, unvorstellbarer Schmutz. Er überzog die Straßen, die gewaltigen Masten, die das Dach trugen, die Häuser und die Bewohner von Thaema-Thahar. Die meisten Bewohner des Tales litten unter Erkrankungen der Atemwege, aber deshalb dachte niemand daran, etwas gegen den Schmutz zu unternehmen. Der Kampf gegen den Schmutz wäre kostspielig und aufwendig gewesen, und wer hätte ihn bezahlen sollen?
    Ksoundoksä zog ein Tuch aus der Tasche und wischte die Scheibe neben sich frei, so daß er hinausblicken konnte. Kolonnen von Männern, Frauen und Kindern stampften an dem Wagen vorbei. Sie schleppten mit Maschinenteilen bepackte Karren. Sie sahen schwarz aus. Von ihrer ursprünglichen Schuppenfarbe war nichts mehr zu erkennen.
    Ksoundoksä lehnte sich in den Polstern zurück und schloß die Augen. Er empfand kein Mitleid mit den hart arbeitenden Bewohnern von Thaema-Thahar. Für sie gab es keine andere Arbeit. Und konnten sie nicht froh sein, daß sie diese Zeit bewußt erleben durften? War es nicht ein geradezu unerhörter Fortschritt, daß sich ein schützendes Dach über dem Tal wölbte, das die Kälte abhielt?
    Unwillkürlich rieb der Hohepriester sich die Arme, als ihn fröstelte.
    Irgendwie hat Ghrou-Thar recht, dachte er. Sie sollten bescheiden bleiben und nicht ständig neue Rechte fordern.
    Er rutschte auf seinem Sitz nach vorn und wäre fast auf den Boden gefallen, als das Fahrzeug plötzlich hielt. „Was ist los?" fauchte er den Fahrer an. „Eine Demonstration, Herr. Die Leute versperren uns den Weg."
    Ksoundoksä knurrte unwillig. Er stieß die Tür auf, stieg aus dem Wagen und trat den Demonstranten entgegen. Es waren wenigstens zweihundert Männer, Frauen und Kinder, Elendsgestalten, dürr und ausgehungert, schmutzig und zerlumpt.
    Die meisten von ihnen waren mit zum Teil offenen Geschwüren überdeckt. An ihrer Spitze stand ein Mann, der nahezu drei Meter groß war, ausladende Schultern und einen gewaltigen Kopf hatte. „Bhou-Bou", sagte Ksoundoksä, der Kidowhtar-Darhan. „Von dir habe ich gehört. Es überrascht mich nicht, daß du dich mir in den Weg stellst und daß du Frauen und Kinder herbeigerufen hast, damit sie dich unterstützen. Du fürchtest dich doch nicht, mir allein gegenüberzutreten?"
    Bhou-Bou war ein Minenarbeiter, der zumeist im Schacht lebte, nahezu dreitausend Meter unter Tha'ema-Thahar. Er kam ebenso wie Tausende von anderen Arbeitern nur einoder zweimal im Jahr aus der Tiefe des Bergwerks herauf. Dann stiftete er fast immer Unruhe, so daß es schien, als komme er nur zu diesem Zweck herauf. Ksoundoksä fragte sich, warum er und die vielen anderen Arbeiter nicht unten im Schacht blieben, bis sie starben. Schlüpften da unten nicht Tausende von Jungen, wuchsen dort auf, arbeiteten bis zum Ende ihres Lebens, um
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