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1124 - Aus dem Reich der Toten

1124 - Aus dem Reich der Toten

Titel: 1124 - Aus dem Reich der Toten
Autoren: Jason Dark
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halten, obwohl die Chancen verdammt schlecht standen. Sie waren bereits unter den Nullpunkt gerutscht. Niemand war da, der mir helfen konnte. Ich war so arrogant gewesen, allein zu fahren und hatte Nora Thorn zusammen mit Janine Helder zurückgelassen. Doch auch die mutige Nora hätte es nicht geschafft, mich aus dieser Lage zu befreien. Auch sie hätte ihr Leben verloren.
    Einige Sekunden hatte mich Lalibela an der Stelle stehengelassen. Wahrscheinlich hatte er mir meine hoffnungslose Lage noch einmal vor Augen führen wollen.
    Die Ruhe war vorbei.
    »Geh auf das Grab und leg dich hin!«
    Ich schloß die Augen. Damit hatte ich rechnen müssen. Dennoch stemmte ich mich innerlich dagegen.
    »Ich wiederhole es kein zweites Mal!«
    »Ja«, flüsterte ich und öffnete die Augen. »Ja, ich werde zum Grab gehen.« Es war nicht nur einfach dahingesagt, ich tat es wirklich, und ich machte sehr kleine Schritte, wie jemand, der versucht, sein Leben um Sekunden zu verlängern.
    Ich war der Delinquent, und die Henker lauerten bereits mit sadistischer Freude auf mich.
    Ich wäre sogar bereit gewesen, gegen jeden einzelnen zu kämpfen und so zu sterben, aber in diesem Fall war das nicht möglich. Man hätte mich nicht gelassen. So war ich gezwungen, über den mit kleinen Steinen und Kies belegten Weg auf das Doppelgrab zuzugehen und mich dort nach rechts zu wenden.
    Jetzt stand ich direkt davor.
    In dieser dunklen Nacht war es anders als sonst, wenn ich vor dem Grab stand und mit meinen verstorbenen Eltern stumme Zwiesprache hielt. Hier hatte der Tod bereits seine Klauen nach mir ausgestreckt, und ich spürte bereits die eisigen Finger über meinen Rücken gleiten.
    Lalibela kannte kein Pardon. Er brauchte auch nichts mehr zu sagen. Er streckte den linken Arm über den Grabstein hinweg und drehte den Daumen nach unten.
    Ich wußte Bescheid.
    Der nächste Schritt brachte mich auf das Grab. Jetzt befand sich weicher Boden unter meinen Füßen. Für einen Augenblick hatte ich den Eindruck, in die Tiefe des Grabs hineinzusinken.
    Ich suchte Lalibelas Blick.
    Wir waren nicht weit voneinander entfernt und konnten uns praktisch nicht mehr ausweichen. Ich sah seine braunen Augen, die sich vor dem hellen Hintergrund deutlich abzeichneten, und ich stellte mir die Frage, ob ich es hier noch mit einem Menschen zu tun hatte.
    Nein, das war er bestimmt nicht. Lalibela existierte in einem Zwischenstadium. Er war Götze, König, Dämon und letztendlich auch Mensch.
    »Auf das Grab, Sinclair! Hinlegen!«
    Ich versuchte, meine Angst in den Griff zu bekommen, aber es war so verdammt schwer. Ich war keine Maschine, nur ein Mensch, der Gefühle hatte wie jeder andere auch. Jegliches Heldendasein ging mir in einer derartigen Lage ab.
    Ich mußte mich nicht einmal anstrengen, um in die Knie zu sinken. Sie zitterten sowieso, und noch in der Bewegung hörte ich den nächsten Befehl des Lalibela.
    »Auf den Rücken!«
    Es war eine Demütigung, der ich nicht entgehen konnte. Ich stützte mich mit der linken Hand auf der weichen Graberde ab und drehte mich so, daß ich mich auf den Rücken legen konnte.
    Dabei dachte ich an meine Eltern, die unter mir lagen und allmählich verwesten. Ich sah sie vor meinem geistigen Auge erscheinen, während mein Körper gegen die weiche Graberde drückte.
    Meine Eltern standen vor mir wie Gespenster. Hand in Hand. Sie lächelten mich an. Meine Mutter, verdammt, ich kannte ihr Lächeln. Für sie war ich bis zu ihrem Tod noch immer der große Junge gewesen, um den sie sich so sorgte.
    Jetzt sah ich Tränen in ihren Augen. Oder waren es meine Tränen, die den Blick so verschwommen machten, so daß sich die Gestalt meiner Mutter allmählich auflöste.
    Neben ihr stand Horace F. Sinclair. Er war noch vorhanden. Er blickte mich sehr ernst an. Seine Lippen hielt er geschlossen, aber ich spürte, daß er mir etwas sagen wollte.
    Er öffnete sie.
    Er redete.
    Flüsternd, laut, normal - alles konnte zutreffen. Nur wußte ich es nicht, weil die Worte eines Toten meine Ohren nicht erreichten. Aber es war eine Nachricht, die für mich bestimmt war, nur war es mir nicht möglich, sie zu verstehen.
    Dann löste sich die Gestalt meines Vaters auf. Die Realität kehrte zurück, und sie sah grausam aus.
    Die Helfer des Lalibela hatten den Kreis um das Doppelgrab herum geschlossen. Sie erinnerten selbst an steinerne Grabsteine, denn keiner von ihnen bewegte sich.
    Ich sah auch ihre Waffen.
    Messer, Revolver, eine Maschinenpistole. Jede
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