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1124 - Aus dem Reich der Toten

1124 - Aus dem Reich der Toten

Titel: 1124 - Aus dem Reich der Toten
Autoren: Jason Dark
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hatte.
    Meine Finger streichelten das geweihte Silber. Ich wartete auf die Erwärmung, die allerdings ausblieb. Für mein Kreuz war er kein Feind.
    Keiner von uns bewegte sich. Wir gingen nicht aufeinander zu, aber es war Lalibela, der dieses Schweigen zuerst brach und mich mit einer scharfen Flüsterstimme anredete, die wie ein zischelnder Windstoß über die zwischen uns liegenden Gräber wehten, als sollten die Toten durch die Stimme erweckt werden.
    »Du bist ein Sinclair. Du bist der Sohn des Vaters, der ein Verräter gewesen ist. Er hat mich verraten, und ich habe ihn dafür gehaßt. Man muß mich als König ansehen, und man darf einen König nicht verraten. Wer es trotzdem tut, wird verflucht und wird sterben, ebenso wie diejenigen sterben, die zu ihm gehören.«
    »Du meinst mich?«
    »Ja.«
    »Und du bist Lalibela?« Ich wollte es von ihm erfahren, um hundertprozentig sicher zu sein.
    »Ja, ich bin der König Lalibela.«
    »Nein, das bist du nie gewesen. Du hast dich damals zum König gemacht. Dein Volk hat dich nie dazu gewählt.«
    »Ich bin mehr als ein König, denn ich habe mich in den Schutz der Engel begeben. Es hat mich gegeben, und es gibt mich immer noch, obwohl die Geschichte mich vergessen hat. Manches stirbt nie, John Sinclair, aber dazu zählst du nicht.«
    »Was haben wir noch miteinander zu tun?« fragte ich ihn. »Ich habe es nicht geschafft, das Rätsel der Bundeslade zu lüften, und dir ist es auch nicht gelungen. Wer immer von uns beiden sie auch öffnen würde, um ihr Geheimnis zu ergründen, der würde vernichtet werden, und das weißt du genau. Die Macht der Lade hat deine Helfer getötet, und auch das silberne Skelett des Hector de Valois mußte endgültig sterben. Es ist für mich in den Tod gegangen, denn es war ein Teil von mir. Ich bin in einem anderen Leben Hector de Valois gewesen, aber das ist eine Geschichte, die nicht hierher gehört.«
    Er ging darauf auch nicht ein, sondern erklärte mir mit fester Stimme: »Du bist der Sohn eines Verräters, und als König hasse ich Menschen und Diener, die mich verraten. Du kennst mich. Du bist einen Weg gegangen, den ich nicht akzeptieren kann…«
    »Mein Vater hat dir abgeschworen. Er hat einen Fehler begangen. Da war er jung, zu jung. Später hat er nichts mehr mit dir zu tun haben wollen.«
    »Man verläßt mich nicht!«
    »Ich weiß, daß du so denkst. Aber nicht alle Menschen zählen zu deinen Vasallen. Du hast verloren. Die Lade hat deine Diener vernichtet. Ich bin dabeigewesen, und deine Sekte wurde zerschlagen. Du hast auf dieser Welt nichts mehr zu suchen. Sieh endlich ein, daß deine Zeit vorbei ist.«
    »Nicht überall«, gab er zu. »Und hier habe ich noch eine letzte Aufgabe zu erledigen. Ich muß dich töten. Nur so kann ich die Schmach tilgen.«
    »Bitte«, sagte ich. »Dann versuch es. Ich war nicht feige, ich bin gekommen. Du hättest es schon längst tun können, aber du hast einen Helfer geschickt. Es gibt ihn nicht mehr, und es wird auch dich bald nicht mehr geben.«
    »Er war nicht so stark.«
    »Wer ist er dann gewesen?«
    »Ein Engel.«
    »Der dich nicht beschützen konnte.«
    »Ein Engel aus meinem Reich. Doch du irrst. Er ist nicht der einzige gewesen. Es gibt noch Diener, auf die ich mich verlassen kann, Sinclair, und ich bin nicht allein gekommen. Ich habe die Tore zu meiner Welt geöffnet, und sie sind weiterhin offen.« Nach diesen Worten riß er beide Arme hoch, und seine auf deinem Stock stehende Kugel machte die Bewegung mit.
    Kaum hatte der Stab den Boden verlassen, da weiteten sich meine Augen. Die Kugel glühte in einem hellen Lichtkranz auf, der über den Friedhof hinwegstrahlte, als wollte er bestimmte Ecken ausleuchten, um diejenigen hervorzuholen, die sich dort verborgen hielten.
    Meine Annahme erwies sich als richtig.
    Sie waren da.
    Aber sie hielten sich noch zurück. Wie Puppen standen sie im Restschatten der Bäume, der Gräber und der hohen Grabsteine. Neben Kreuzen, neben Figuren und Platten hielten sie sich auf und waren nun bereit, ihrem Herrn und Meister zu dienen.
    Lalibela bezeichnete sie als Engel. Ich konnte da nicht zustimmen, denn Engel, wie ich sie kannte, sahen für mich anders aus. Aber man konnte auch sie nicht auf ein bestimmtes Aussehen hin festlegen. Sie hatten ihre Deckung gefunden und schoben sich nun langsam hervor.
    Ich war ein wenig fassungslos, weil ich mit derartigen Gestalten nicht gerechnet hatte. Ich kam mir vor wie auf einer makabren Musical-Bühne, denn die
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