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1001 Nachtschichten

1001 Nachtschichten

Titel: 1001 Nachtschichten
Autoren: Osman Engin
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fängt sich sofort wieder und versucht zu witzeln: »Na ja, dieser Pressluftschrauber hat wohl die Absicht, mit dir zusammen rauszufliegen!«
    Verdammt! Es war taktisch überhaupt nicht klug, in meiner Situation das Wort »kündigen« in den Mund zu nehmen! Ich bettle ja regelrecht darum, vor die Tür gesetzt zu werden! So viel Dummheit müsste eigentlich wehtun! Wahrscheinlich kommen meine Rückenschmerzen daher. Ich wollte souverän punkten, wurde aber brutal ausgezählt!
    Ich werde beim Meister nie wieder ein Wort über unsere Arbeit in Halle 4 verlieren! Ist mir doch egal, ob wir nur noch Schrott produzieren – nach mir die Sintflut!
    »Osman, was ist danach passiert?«, fragt er ohne Umschweife, um keine Zeit zu verlieren.
    »Was ist wonach passiert?«, tue ich ahnungslos, um Zeit zu gewinnen. »Meinen Sie heute nach unserer Zwangspause, als das Ding wieder funktionierte?«
    »Mensch, Osman, ich meine: Hat dein Kumpel die Inge Meysel jetzt kaltgemacht oder nicht?«
    »Ach soooo, das meinen Sie! Ich war selbstverständlich völlig geschockt, wie Sie sich denken können:
    ›Eminanim, das kann doch nicht wahr sein, hat mein Kumpel Klaus etwa Inge Meysel umgebracht?‹, brüllte ich verzweifelt.
    ›Quatsch!‹, sagte sie. ›Die Inge Meysel ist doch schon längst tot. Das ist die Inge aus der Neustadt in Bremen. Die war bei uns im Yoga-Kurs. Sie hatte ein schreckliches Stolker-Problem. Von diesen Verfolgungen habe ich dir doch schon mal erzählt.‹
    ›Du meinst, sie hat den Klaus bis hierher verfolgt, oder was?‹
    ›Nein, umgekehrt natürlich, die Inge wurde ständig verfolgt und bedroht!‹
    ›Von Klaus?‹
    ›Keine Ahnung, von irgendeinem Idioten! Sie hat den Stolker nicht bei der Polizei angezeigt, weil sie auch seine arme Frau kannte und deren Ehe nicht gefährden wollte.‹
    ›Warum liegt sie dann hier in Schwerte?‹
    ›Woher soll ich das wissen!‹
    ›Also zählen wir die Fakten, die wir haben, zusammen. a) Wir haben eine tote Inge! b) Aber sie ist nicht Inge Meysel! c) Diese Inge hat in Bremen einen persönlichenVerfolger. d) Zum Ausgleich verfolgt sie meinen Kumpel Klaus bis nach Schwerte. e) …‹
    ›Osman, hör auf, das ganze Alphabet runterzuleiern. Ich rufe jetzt die Polizei.‹
    ›Warte! Bevor du meinen Kumpel verpfeifst, will ich ihn warnen. Er braucht ein paar Stunden Vorsprung.‹
    Ich wählte umgehend Klaus’ Händynummer, was ich eigentlich schon früher hätte tun müssen.
    ›Du, Eminanim, Klaus spricht gerade, es ist besetzt!‹
    ›Verdammt, bei der Polizei ist auch besetzt!‹
    ›Ich denke, die reden gerade miteinander.‹
    ›Ja, hallo, ist dort die Polizei? Wir haben hier in der Ruhrstraße 123d einen Toten! Bitte kommen Sie schnell! Was, das wissen Sie schon längst?‹, rief meine Frau dann völlig überrascht. ›Ich kenne die Tote, sie heißt Inge. Nein, nicht Inge Meysel‹, und dann flüsterte sie mir zu: ›Osman, die Polizei in Schwerte ist genauso witzig wie du!‹
    ›Ich hab’s dir doch gleich gesagt, die haben gerade mit Klaus gesprochen. Deshalb wissen sie schon alles.‹
    ›Okäy, wir warten‹, sagte meine Frau und legte auf.
    Nach dreißig Minuten sagte sie wieder ›okäy, wir warten‹ und legte auf.
    Nach sechzig Minuten sagte sie wieder ›okäy, wir warten‹ und legte auf.
    Herr Viehtreiber, ich weiß nicht, wie lange Eminanim und die Polizei dieses muntere Spielchen miteinander getrieben haben, ich selbst bin jedenfalls kurz nach 5 Uhr wie ein Toter neben der Toten eingeschlafen.
    Wenn es eine nach oben offene Totenskala gäbe, hätte ich diese Inge problemlos um Längen geschlagen.
    Vier Stunden später wachte ich von einem Höllenlärm, der selbst Tote aufgeweckt hätte, mit einem Brummschädel auf. Na ja, so schlimm war der Lärm anscheinend doch nicht, die Inge war nämlich immer noch mausetot.
    Ich habe sofort das Fenster aufgerissen und sah, dass einige Bauarbeiter nebenan irgendwelche Metallteile auf die Ladefläche ihres Lkws warfen.
    Zum Ausgleich für den schrecklichen Lärm wurde ich mit einem faszinierenden und gleichzeitig sehr lustigen Anblick belohnt: Auf der anderen Straßenseite war ein großer Baum, unter diesem Baum befand sich ein Spielplatz, auf dem mehrere Kinder spielten, und auf dem Baum thronte ein alter Kirchturm, der fast so schief war wie der Turm von Pisa. Aus dieser Perspektive sah es so aus, als könnte dieser auf dem Baum rumhockende Kirchturm, der aber in Wirklichkeit mindestens hundert Meter Luftlinie weit weg war,
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