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1001 Nachtschichten

1001 Nachtschichten

Titel: 1001 Nachtschichten
Autoren: Osman Engin
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nicht hinhalten. Wenn ich diesen Juni überstehe, sind wir gerettet, dann kann er mich nicht mehr rausschmeißen. Im Juli gibt es vier Wochen Betriebsferien, und dann ist das Sommerloch vorbei.«
    »Aber heute ist doch erst der 10. Juni.«
    »Ja, noch genau zwanzig Foltertage!«
    So makaber es auch klingen mag, die zwölf Kollegen, die heute vor die Tür gesetzt wurden, haben mich vor Eminanims Zorn gerettet! Wenn ich der einzige Kandidatwäre, der in Zukunft vierundzwanzig Stunden lang Däumchen drehen darf, dann hätte meine Frau mich kopfüber in den Fleischwolf gesteckt. Das ist vermutlich der tiefere Sinn von Massenentlassungen.
    »Was hast du ihm denn erzählt?«, fragt Eminanim neugierig.
    »Öhhmm …«, murmle ich.
    »Doch nicht etwa …?«
    »Was sollte ich denn machen? Er hat mich gezwungen. Ich hatte keine andere Wahl.«
    »Aber der Kommissar Lück hat doch ausdrücklich gesagt …«
    »Wenn ich meinen Job verliere, wird die Inge ja auch nicht wieder lebendig!«
    Die Deutschen haben ja das Vorurteil, nur weil ich ein türkischer Gastarbeiter mit Migrationshintergrund bin, dass ich auch automatisch der Boss der Familie bin. Der Ernährer! Der Führer! Der Mann im Haus! Das Familienoberhaupt!
    Stimmt aber alles nicht! Bei uns ticken die Uhren anders. Denn weder Patriarchat noch diese Gleichberechtigung von Mann und Frau haben bei uns zu Hause je stattgefunden. Wenn meine seligen Vorfahren mich so gesehen hätten, dann hätten sie ihr Osmanisches Reich niemals nach mir benannt, sondern nach meiner Frau – weil sich im Karnickelweg 7b alles um meine Frau Eminanim dreht!
    Die ganze Post, alle Briefe, alle Rechnungen und alle Mahnungen kommen ausschließlich auf den Namen meiner Frau an. Adressiert an »Frau Eminanim Engin, Karnickelweg 7b«. Selbst meine kleine Tochter Hatice sprichtmich manchmal mit »Mama Osman« an. Und auch ihre Lehrerin, Frau Ingeborg Lehrknecht-Ziegenbart, korrespondiert nur mit meiner Frau.
    Wenn unser Telefon klingelt, heißt es nur: »Ist Frau Engin da?«
    Ein türkisches Sprichwort sagt: Wenn man einem Menschen 100 Mal sagt, dass er ein Esel ist, sattelt er sich beim 101. Mal selbst. Beim 101. Brief, adressiert an meine Frau, war ich vor ein paar Jahren auch so weit. Ich habe zwar nicht »iah, iah« gebrüllt, aber ich habe mich selbst dabei ertappt, wie ich verzweifelt darüber nachgedacht habe, was denn mein Mädchenname vor der Hochzeit gewesen ist? Verglichen mit meinem Elend kann ich doch über die Menschen nur lachen, die das Ozonloch, Arbeitslosigkeit oder Übergewicht als lebensbedrohliche Probleme ansehen.
    Ich werde nie vergessen, wie ich an einem regnerischen, dunklen, hässlichen Montagmorgen nach unten zum Briefkasten ging, um die Post zu holen. Wegen des schlechten Wetters hatte ich bereits so miese Laune, dass ich dachte, da könnten die an meine Frau adressierten Briefe auch nicht mehr viel anrichten.
    In dem Moment hörte ich, wie die Mülltonnen geleert wurden. Der Müllmann kippte gerade unsere Tonne in den Wagen und reichte sie mir anschließend herüber:
    »Bitteschön,
Herr
Engin«, sagte er plötzlich.
    Ich traute meinen Ohren nicht!
    »Wie bitte, was haben Sie gesagt?«, stotterte ich schockiert.
    »Hier, nehmen Sie Ihre Mülltonne,
Herr
Engin«, wiederholte der gute Mann erneut.
    Meine liebe Frau Eminanim, die beste Ehefrau aller Zeiten, hatte auf unsere Mülltonne den Namen ihres Mannes geschrieben! Unsere Mülltonne trug
meinen
Namen!
    Für mich war dieser Tag der schönste meines Lebens!
    Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, die Mülleimer klapperten, und ich fiel dem verschwitzten Müllmann um den Hals und überschüttete ihn mit zahlreichen Küssen.

    Deshalb versuche ich, wann immer sich eine Gelegenheit bietet, sehr dezent anzudeuten, dass es mich extrem stört, dass meine Frau zu Hause die Hosen anhat. Daraufhin antwortet Eminanim, ohne sich beim Zucchinibraten stören zu lassen:
    »Also wirklich, Osman, du bist echt pervers! Soll ich etwa zu Hause vor den Kindern ohne Höschen herumlaufen?«
    Meine Frau behauptet sogar, ich sei selber schuld daran, dass kein Hahn nach mir kräht! Sie sagt: »Besonders beliebt warst du doch noch nie! Aber dass nicht mal deine sogenannten besten Freunde dir zum Geburtstag oder zum neuen Jahr gratulieren, liegt nur daran, dass du für die Leute schon längst gestorben bist. Bei mir ist das anders, ich bin immer noch beliebt wie die Lottofee«, strahlt sie gut gelaunt bis über beide Ohren.
    »Eminanim, lüg dir
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