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1001 Nachtschichten

1001 Nachtschichten

Titel: 1001 Nachtschichten
Autoren: Osman Engin
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direkt nach der Arbeit losgefahren, damit wir zum Abendessen dort sind. Unser Ford-Transit war aber anderer Meinung. Nach drei Stunden hatte er keine Lust mehr. Er gab ein paar komische Geräusche von sich, ruckelte, zuckelte und blieb auf der Standspur stehen.
    Ich rate Ihnen: Bleiben Sie bloß nicht an einem Freitag auf der Autobahn liegen. Es dauerte Stunden, bis endlich der ADAC kam. Und es vergingen erneut mehrere Stunden, bis dieser Kfz-Mechaniker unseren Transit davon überzeugt hatte, endlich weiterzufahren. Aber meine Leiden hörten damit noch nicht auf. Es war schon fast Mitternacht, da fing meine Frau an, komische Geräusche von sich zu geben und zu jammern:
    ›Osman, ich bin tot!‹, stöhnte sie, während ich einen klapprigen ukrainischen Lkw überholte, der damit beschäftigt war, eine lange, dunkle Qualmspur in die Nacht zu blasen.
    ›Eminanim, die Fenster sind doch zu, so schnell vergiftet man sich nicht‹, beruhigte ich sie.
    ›Aaaaah, ich bin tot!‹, jammerte sie weiter wie ein kleines Kind.
    ›Stell dich doch nicht so an! So leicht stirbt man nicht. Außerdem bin ich derjenige, der eigentlich tot sein müsste. Ich hab mich doch die ganze Zeit abgerackert, während du auf dem Beifahrersitz geschnarcht hast! Noch etwas Geduld, mein Schatz, in wenigen Stunden sind wir in Frankfurt.‹
    ›Ich habe meiner Cousine schon eine SMS geschickt, dass wir es heute nicht mehr schaffen. Die Leute schlafen bestimmt längst, und ich kann auch nicht mehr! Ich will unbedingt in ein Hotel! Ich muss sofort schlafen!‹, schluchzte sie.
    ›Eminanim, hast du eine Ahnung, was so ein Hotel an der Autobahn kostet? Aber ich habe eine ganz tolle Idee! Lass uns doch meinem Kumpel Klaus einen Überraschungsbesuch abstatten. Ich glaube, der wohnt hier in der Nähe‹, schlug ich vor.
    ›Bist du noch ganz dicht? Ich besuche niemanden mitten in der Nacht. Schon gar nicht einen Deutschen, bei denen muss man sich zwei Monate vorher anmelden! Ich will jetzt sofort ein Bett haben!‹
    Herr Viehtreiber, den Klaus kennen Sie doch auch. Er hat letztes Jahr sechs Wochen lang hier bei uns in Halle4 auf Montage gearbeitet. Sie wissen sicher noch, der hat oben unter dem Dach die dicken Lüftungsschächte neu isoliert, und der wollte unbedingt, dass ich ihn mal im Ruhrgebiet besuche. Das ist
die
Gelegenheit, Hotelkostenzu sparen und meinen Kumpel wiederzusehen, dachte ich mir.
    ›Eminanim, der Klaus wohnt gleich hier vorne in Schwerte. Wir fahren zu ihm, da kannst du in einem weichen Bett schlafen. Versprochen ist versprochen!‹, rief ich begeistert.
    ›Doch nicht nachts um zwei! Lass uns lieber in ein Hotel gehen‹, schnarchte Eminanim mehr als sie sprach.
    ›Wir sind doch schon am Westhofener Kreuz, gleich kommt die Abfahrt nach Schwerte. Wir können heute bei ihm umsonst übernachten, und morgen fahren wir dann nach einem schönen Gratis-Frühstück quicklebendig zu deiner Cousine nach Frankfurt.‹
    Dank unseres tollen Navis befanden wir uns fünfzehn Minuten später in der Hagener Straße und bogen von dort in die Ruhrstraße ein.
    ›Eminanim, schau doch, die Haustür steht sperrangelweit offen. Also wenn das keine Einladung ist. Klaus wohnt, soviel ich weiß, in der ersten Etage, du kannst schon langsam raufgehen und klingeln, ich komme mit den Koffern nach. Ich kann das Zeug unmöglich nachts im Wagen lassen, wir sind doch im Ruhrgebiet‹, rief ich und schubste sie aus dem Wagen.
    Meine Frau konnte zwar kaum noch stehen, aber sie krabbelte tapfer die Treppen nach oben.
    Die Nachbarn dachten bestimmt, wir kämen vom Komasaufen und ich hätte 5,3 Promille im Blut. Und Eminanim hätte demnach gar kein Blut mehr in ihren Adern, sondern puren Alkohol.
    Ich merkte, dass ich nie und nimmer alle Koffer nachoben schleppen konnte! Wieso meine Frau für zwei Tage drei Koffer braucht, ist mir heute noch schleierhaft. Sollen sie uns den Kram doch klauen, dachte ich, schnapptemir das Glas für meine dritten Zähne und stapfte die Treppen hoch.
    Vor der weit aufgerissenen Wohnungstür meines Kumpels hörte ich, ich meine, sah ich Eminanim mit noch weiter aufgerissenen Augen und offenem Mund herzzerreißend schreien – und zwar völlig tonlos!
    ›Eminanim, warum schreist du denn so fürchterlich …? Ich meine, warum hättest du denn so fürchterlich geschrien, wenn du noch deine Stimme gehabt hättest?‹, fragte ich sie zutiefst erschüttert.
    ›Tot, tot, tot!!!‹, stammelte sie krampfhaft.
    ›Ich weiß, ich weiß, du bist
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