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0907 - Die blutenden Bäume

0907 - Die blutenden Bäume

Titel: 0907 - Die blutenden Bäume
Autoren: Jason Dark
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Ihnen, Grote. So plötzlich, und nur ein dicker Tropfen. Wie ist das möglich?«
    Der Gefangene schaute die beiden Männer an, als wäre er von ihnen in die Enge getrieben worden. Ihm fehlten die Worte, vielleicht wollte er auch nichts sagen und schüttelte zunächst den Kopf. Aber seinen rechten Zeigefinger ließ er nicht aus dem Blick. Besonders der verfärbte Nagel hatte es ihm angetan.
    »Die Fragen sind nicht weniger geworden«, sagte Müller leise.
    Grote stierte ihn an. Seine Augen waren hart geworden, die Lippen zuckten, ohne daß sein Mund sich öffnete.
    Harry Stahl kannte sich mit Menschen aus. Dieser hier entwickelte Aggressionen, und er stand dicht davor, über den Tisch zu hechten und die beiden Männer anzugreifen. Da war es schön gut, daß ihn die Handschellen hielten.
    Unter dem Nagel bewegte sich etwas. Es war einfach der nächste Tropfen, der sich in die Höhe schob, über den Rand hinwegquoll und seinen Weg an der Außenseite fand. Er hinterließ auf dem Finger eine rote Spur, und selbst Müller, diese Karikatur eines Beamten, war sprachlos geworden und verfolgte den Weg des Tropfens.
    Nicht so Harry Stahl.
    Er dachte daran, daß dieser Mensch überall geblutet hatte, deshalb konzentrierte er sich auf das Gesicht, dessen Hautfarbe eine gewisse Rötung bekommen hatte, die allerdings immer mehr zunahm, und plötzlich hochrot wurde.
    Zu rot…
    Er wollte Müller darauf aufmerksam machen, als es begann. Die ersten winzigen roten Perlen erschienen auf der Stirn des Mannes und bildeten in Sekundenschnelle ein makabres Muster. Sie waren überall, und sie waren auch zugleich erschienen.
    Harry hielt den Atem an.
    Dafür stieß der neben ihm sitzende Müller die Luft aus. Ein quietschendes Geräusch entstand, als Müller seinen Stuhl zurückschob und aufsprang. Er war noch immer sprachlos. Sein Gesicht glich dem einer Comicfigur, die der Künstler noch unfertig abgegeben hatte.
    Auch Grote stand auf.
    Dabei mußte sich irgend etwas in seinem Kopf gelöst haben, denn aus beiden Nasenlöchern rannen die feinen roten Streifen der Oberlippe entgegen.
    Sein Blut? Fremdes Blut?
    Müller und Stahl wußten es nicht. Sie waren nur Zuschauer und hörten den erstickten Schrei des Mannes. Er wirbelte herum, trat seinen Stuhl zur Seite und riß die Arme auseinander, als wolle er die Verbindungskette zwischen den beiden Stahlkreisen der Handschellen zerfetzen.
    Grote wankte zurück. Er keuchte und stöhnte zugleich. Positive und negative Energien tobten sich in seinem Körper aus. Er konnte nicht wissen, welche der beiden Seiten letztendlich den Sieg davontrug, aber er durchlebte sie in einer nahezu grausamen Intensität.
    »Was ist das nur?« flüsterte Müller. Er stieß Harry mit dem Ellbogen an.
    »Los, sagen Sie was! Geben sie mir eine Erklärung. Sie sind doch der Spezialist.«
    »Ich habe dafür keine Erklärung.«
    »Toll, Herr Kollege.«
    »Lassen Sie den Sarkasmus!« Harry hatte seinen Platz verlassen und war um den Tisch herumgegangen. Der Boden bestand aus Estrich, der graugrün gestrichen worden war. Er hob sich kaum von der Farbe der Wände ab. Nur die Möbelstücke bildeten einen schwachen Kontrast.
    Grote hatte die Wand erreicht. Mit dem Rücken und auch mit dem Hinterkopf war er gegen sie gestoßen. Sein Gesicht bildete eine furchtbare Grimasse, die wegen der immer noch austretenden Blutstropfen viel schrecklicher wirkte.
    Er kam mit sich selbst nicht zurecht, zerrte hektisch an den Handschellen und ließ sich gegen die Wand fallen. Er tat es mehr als einmal, als wollte er alles zerstören, drehte sich dann um, zeigte beiden Männern den Rücken und wuchtete seinen Kopf gegen die Wand. Die dabei entstehenden Geräusche gingen Harry Stahl und Müller durch Mark und Bein.
    Harry handelte. Er konnte nicht zulassen, daß sich der Mann verletzte oder womöglich noch selbst tötete. Außerdem brauchten Sie seine Aussagen, und Harry zerrte ihn zurück, bevor er seinen Kopf erneut gegen die Wand wuchtete.
    Stahl schleuderte den Körper zu Boden. Er rechnete damit, daß sich Grote auf die Füße schwingen würde, aber zu seinem Erstaunen blieb er liegen. Mit verdrehten Augen stierte er zur Decke und flüsterte: »Jetzt sind die Vögel weg.«
    »Bitte?«
    »Die Vögel sind weg.«
    »Na und?«
    »Sie sind weg!«
    Harry hatte zwar verstanden, aber nur wenig begriffen. Von irgendwelchen Vögeln war gesprochen worden, und er wußte nicht, wie es gemeint war, denn auch manche Gefangene bezeichnen sich oft genug als
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