Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

0901 - Die Zweidenker

Titel: 0901 - Die Zweidenker
Autoren: Unbekannt
Vom Netzwerk:
mich pathetisch und inhaltslos. Aber darüber habe ich mit Lank schon gesprochen."
    „Kannst du das auch mir näher erklären?" verlangte der Türmer. „Warum nicht. Ich kenne die Zusammenhänge, die dazu geführt haben, daß wir ins Solsystem kamen", sagte ich. „Ich weiß daß wir von den Terranern ein Objekt haben wollen, das wir als Auge bezeichnen und das der Schlüssel zu einer Materiequelle sein soll. Auf dieser Materiequelle, zu der der Schlüssel paßt, basiert angeblich unsere ganze Existenz. Aber gerade das kann ich mir nicht vorstellen.
    Für mich sind das leere Phrasen. Wir sind Jahrmillionen ohne die Materiequelle und ohne das Auge ausgekommen. Und ich bin sicher, daß wir noch einmal Jahrmillionen ohne das Auge überdauern können. Meiner Meinung nach sind wir die ganze Zeit einem Phantom nachgejagt."
    „Es gibt das Auge, du kannst seine Existenz nicht verleugnen, Goran", sagte der Türmer. „Und es wurde von unseren Vorfahren auf dem dritten Planeten dieses Sonnensystems versteckt."
    „Ich will die Existenz des Auges gar nicht in Frage stellen", erwiderte ich und hatte das Gefühl, daß wir aneinander vorbeiredeten. „Wenn ich sage, daß wir einem Phantom nachjagen, dann meine ich, daß der Wert des Auges maßlos überschätzt wird.
    Unser Volk kann auch ohne dieses Objekt existieren. Und so ähnlich wird es wahrscheinlich auch den Terranern ergehen."
    „Wenn man dich hört, könnte man meinen, daß du die Terraner besser verstehst als dein eigenes Volk", sagte Hergo-Zovran. „Meine Worte müssen dir ketzerisch erscheinen, aber du wolltest meine Meinung hören", entgegnete ich. „Und dazu stehe ich. Ebenso lächerlich wie die Jagd nach dem Auge finde ich die Angst vor dem Feind.
    Wovor fürchten sich die Loower eigentlich?
    Unsere Ahnen haben vor urdenklichen Zeiten gegen Wesen rebelliert, über die wir kaum mehr etwas wissen. Unser Volk hat damals das Auge seinem rechtmäßigen Besitzer entwendet und betrachtet es seitdem als sein Eigentum. Ob das richtig ist oder nicht, sei dahingestellt.
    Aber es ist unsinnig, nach einer so langen Zeitspanne noch Sanktionen zu befürchten. Wir sollten uns endlich von den Fesseln dieses Irrglaubens befreien und wieder vorwärts streben. Denn durch diese selbstauferlegten Beschränkungen stagniert unsere Entwicklung. Seit den Tagen des legendären Saqueth-Eeno gibt es kaum mehr neue Errungenschaften.
    Der Glaube an die existenzbestimmende Kraft des Auges ist überholt, wir sollten umdenken, und eine Philosophie entwickeln, die..."
    „Das genügt", unterbrach der Türmer meinen Redeschwall.
    Ich verstummte, obwohl ich noch viel zu sagen gehabt hätte. Aber dann sah ich doch ein, daß es keinen Zweck hatte. Bestimmt verstand Hergo-Zovran nicht die Hälfte von dem, was ich sagte. Umgekehrt ginge es mir ähnlich. „Ich habe vorhin in Aussicht gestellt, daß ich deinem Leben einen neuen Sinn geben könnte", sagte Hergo-Zovran. „Und jetzt hast du mir gezeigt, daß du dich dafür vortrefflich eignest. Wenn es überhaupt einen Loower gibt, der die Terraner durchschauen könnte, dann bist du es. Es ist denkbar, daß du mit ihnen sogar zusammenleben könntest."
    „Du willst mich zu den Terranern schicken, Türmer?" fragte ich irritiert „Soll ich verbannt werden?"
    „Keineswegs", erwiderte Hergo-Zovran. „Wir erkennen dich immer noch als einen von uns an, auch wenn du die Fähigkeit des entelechischen Denkens eingebüßt hast. Aber gerade deswegen würdest du dich als unser Gesandter bei den Terranern besonders eignen. Allerdings dürfen sie nicht erfahren, welchen Auftrag du hast."
    Jetzt verstand ich. „Ich soll also bei den Terranern für euch spionieren!"
    „Was du so abwertest, soll zum Wohle deines Volkes geschehen, Goran-Vran!" sagte der Türmer mit Nachdruck. „Oder fühlst du dich nicht mehr als einer von uns?"
    Diese Frage beschämte mich. In meinem blinden Eifer, den Türmer von meinen Ansichten zu überzeugen, war ich zu weit gegangen. Das bereute ich aufrichtig. „Diese Aufgabe ehrt mich", sagte ich und meinte es wirklich so. Ich stellte es mir recht reizvoll vor, unter Terranern zu leben und sie zu erforschen.
    Vielleicht konnte ich wirklich Informationen beschaffen, die einem besseren Kennenlernen der terranischen Mentalität dienlich waren. Um meine Einstellung zu bekräftigen, fügte ich hinzu: „Ich werde mein Bestes geben, um meinem Volk zu helfen."
    Das versöhnte den Türmer wieder mit mir, und er machte einen zufriedenen Eindruck.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher