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09 - Befehl von oben

09 - Befehl von oben

Titel: 09 - Befehl von oben
Autoren: Tom Clancy
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gehabt hätte. Das war es ganz gewiß nicht. Es war nur, daß sie mittlerweile fast fünfundsechzig war, und das war einfach zu alt, um als Krankenschwester, so gut wie ohne Hilfen, meistens vierzehn Stunden am Tag zu arbeiten, mit ein paar wenigen Stunden dazwischen zum Beten, was zwar gut für ihre Seele sein mochte, für den Rest aber sehr ermüdend war. In jüngeren Jahren war ihr Körper sehr robust - um nicht zu sagen, derb - und gesund gewesen, und mehr als einer der Ärzte hatte sie damals Schwester Fels genannt, doch die Ärzte waren wieder gegangen, und sie war geblieben und geblieben und geblieben, und selbst Felsen können sich abnutzen. Und mit der Erschöpfung schlichen sich Fehler ein.
    Sie wußte, worauf man zu achten hatte. Man konnte in Afrika nicht Gesundheitsexperte sein und nicht wissen, daß man vorsichtig sein mußte, wenn man überleben wollte. Jahrhundertelang hatte das Christentum sich bemüht, sich hier zu etablieren, doch während es sich auf einigen Gebieten durchgesetzt hatte, war ihm das auf anderen nicht gelungen. Eines der diesbezüglichen Probleme war die sexuelle Promiskuität, die hier gang und gäbe war und Schwester Jean Baptiste bei ihrer Ankunft vor etwa zwei Generationen aufs äußerste entsetzt hatte, jetzt aber einfach ... normal war. Jedoch allzuoft mit tödlichen Folgen. Ein volles Drittel aller Patienten, die im Hospital lagen, hatten, wie es hier hieß, > die Auszehrung <, und woanders, AIDS. Schutzvorkehrungen gegen diese Krankheit waren in Stein gemeißelt, und Schwester Jean Baptiste trug sie immer wieder im Unterricht vor. Doch die traurige Wahrheit in bezug auf diesen modernen Fluch war, wie bei Seuchen des Altertums, daß sich das Wirken des Gesundheitspersonals im Grunde auf den Selbstschutz beschränkte.
    Glücklicherweise war das bei diesem Patienten kein Thema. Der Junge war erst acht, zu jung, um sexuell aktiv zu sein. Ein hübscher Junge, wohl gewachsen und aufgeweckt, er war Stipendiat an der nahe gelegenen katholischen Schule und Akoluth. Vielleicht würde er eines Tages den Ruf vernehmen, Priester zu werden - für Afrikaner war das leichter als für Europäer, denn die Kirche erlaubte hier, in stillschweigender Verbeugung vor afrikanischen Sitten, den Priestern zu heiraten, ein Geheimnis, das in der übrigen Welt nicht breitgetreten wurde. Doch der Junge war krank. Er war gerade erst vor ein paar Stunden eingeliefert worden, um Mitternacht, von seinem Vater hergebracht, ein feiner Mensch, höherer Beamter der hiesigen Regierung, der ein eigenes Auto besaß. Der diensthabende Arzt hatte zerebrale Malaria diagnostiziert, doch die Bestätigung durch den üblichen Labortest fehlte in der Akte.
    Vermutlich war die Blutprobe verlorengegangen. Heftige Kopf- und Gliederschmerzen, Erbrechen, Desorientierung, hohe Fieberzacken. Zerebrale Malaria oder Malaria tropica. Sie hoffte, die Krankheit war nicht wieder im Vormarsch. Sie konnte behandelt werden; das Problem war nur, die Leute der Behandlung zuzuführen.
    Sonst war es ruhig auf der Station, so spät am, nein, so früh am Morgen, eigentlich - in diesem Teil der Welt eine angenehme Zeit. Die Luft war kühl und ruhig und still - wie die Patienten auch. Was dem Jungen im Augenblick am meisten zu schaffen machte, war das Fieber, und so zog sie ihm die Zudecke weg und befeuchtete seine Haut mit dem Schwamm. Das schien seinem aufgewühlten jungen Körper gut zu tun, und so nahm sie sich Zeit, auf weitere Symptome zu achten. Die Ärzte waren Ärzte und sie nur eine Krankenschwester - doch war sie immerhin schon sehr lange hier und wußte, worauf man achten mußte. Eigentlich war da nicht viel, außer einem alten Verband an seiner linken Hand.
    Wie hatte der Doktor den nur übersehen können?
Schwester Jean Baptiste ging zum Schwesternzimmer, wo ihre beiden Gehilfen vor sich hin dösten. Was sie jetzt vorhatte, war eigentlich deren Aufgabe, doch warum sollte sie sie extra aufwecken?
Mit frischem Verbandszeug und einem Desinfektionsmittel kehrte sie zu ihrem Patienten zurück. Gerade hier mußte man sich bei Infektionen besonders vorsehen. Behutsam, langsam löste sie den alten Verband. Ein Biß, sah sie, wie von einem kleinen Hund ... oder einem Affen. So etwas konnte gefährlich sein. Eigentlich hätte sie sich jetzt noch im Schwesternzimmer Gummihandschuhe holen sollen, doch dorthin waren es vierzig Meter, und ihre Beine waren müde, und der Patient lag ruhig, die Hand bewegte sich nicht.
Sie schraubte das Fläschchen
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