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0872 - Die Urbanen

0872 - Die Urbanen

Titel: 0872 - Die Urbanen
Autoren: Volker Krämer
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»Die würden sich an dir doch nur die Zähne ausbeißen. Nein, als Militär wärst du absolut ungeeignet.« Da konnte Zamorra nicht widersprechen - also hörte er weiter zu.
    »Was du dort vorne siehst, das konnte man früher mit Fug und Recht Irrenanstalt nennen, und zwar eine der übelsten Sorte. Das Gebäude ist annähernd 150 Jahre alt. Ich muss dir ganz sicher nicht erklären, wie man damals mit Menschen umgegangen ist, die einfach nur anders waren, die der Norm nicht entsprachen.«
    Nein, das musste Frank Golar nicht. Zamorra war darüber bestens informiert, denn die Parapsychologie interessierte sich natürlich auch für zurückliegende Fallbeispiele, bei denen paranormal Begabte für den Rest ihres Lebens einfach hinter dicken Mauern weggesperrt worden waren - Mauern, wie Zamorra sie nun mit jedem Schritt besser erkennen konnte.
    Golar war Professor der Psychologie, doch die hatte für ihn nie dort geendet, wo bei den Lehrbüchern das Wort »Ende« zu lesen war. Einer der Gründe, warum er und Zamorra sich stets so prächtig verstanden hatten. Golar suchte Zamorras Nähe allerdings auch aus einem weiteren Grund. Frank ahnte, dass Zamorra eine Menge Geheimnisse mit sich herumtrug. Bislang war der Herr von Château Montagne ihm immer geschickt ausgewichen, doch das würde ihm nicht immer gelingen können.
    Zamorra alterte nicht. Das war eine Tatsache, die der Parapsychologe auf Dauer kaum mit »guten Genen« erklären konnte. Das mochte bei schlichteren Gemütern ziehen - bei Professor Golar sicher nicht. Zamorra wusste das natürlich. Wenn er mit Frank zusammentraf, dann läuteten bei ihm alle Alarmglocken. Vorsicht war angesagt. Es wussten bereits schon jetzt viel zu viele Menschen um das, was Zamorra tat. Allerdings mochte er auch den Kontakt zu Golar nicht abbrechen, denn er mochte Frank wirklich.
    Golar sprach weiter. Und wie immer hatte Zamorra das Gefühl, dass Frank ihn stets intensiv beobachtete. Wissensdrang, Neugier? Was auch immer…
    »Ich selbst habe vor gut zwanzig Jahren mitgeholfen, dass aus diesem alten Gemäuer ein hochmodernes Therapiezentrum für psychisch erkrankte Menschen wurde. Es wurden Millionen eingesetzt - praktisch das komplette Innere des Gebäudes wurde entkernt und auf den neuesten Stand der Wissenschaft gebracht. In erster Linie beherbergt die Klinik heute Langzeitfälle, also Menschen, denen wir nach wie vor keine Heilung angedeihen lassen können. Es sind - vom Standpunkt des Wissenschaftlers aus gesehen - hochinteressante Fälle darunter. Vom Standpunkt der Menschlichkeit betrachtet… ich sage dir wie es ist… manchmal könnte ich weinen, Zamorra. Unser ganzes Wissen, alle Forschungen, sind keine Garantie dafür, dass wir bestimmte Patienten aus den Kerkern ihres kranken Bewusstseins befreien können.«
    Zamorra kannte die Grenzen. Frank Golar war tagtäglich an der Front dieses ewigen Krieges. Zamorra verstand die Ohnmacht, die der Mann oft spüren musste.
    Golar fuhr fort.
    »Keine Sorge - ich will nicht an dein Scheckbuch, alter Freund. Ich bringe dich hierher, weil ich deine Meinung zu einem ganz speziellen Fall hören möchte. Sagt dir der Name Gilles Trehin etwas?«
    Zamorra überlegte einige Augenblicke.
    »Du meinst den Mann, der seit 20 Jahren eine fiktive Stadt zeichnet?« Zamorra hatte davon gehört und gelesen, war mit Details jedoch nicht unbedingt vertraut.
    Frank Golar nickte. »Urville nennt er die Stadt. Trehin gilt als Savant, wie du sicher auch weißt.«
    Zamorra rief sich alles in Erinnerung, was er mit diesem Begriff verband.
    Die Inselbegabung - auch als Savant-Syndrom bekannt. So bezeichnete man Menschen mit zumeist kognitiven Behinderungen, die in gewissen Bereichen jedoch unglaubliche Leistungen erbringen konnten. Mathematische Wunder, die in der Lage waren, Fünfzigerpotenzen in Sekunden auszurechnen, musikalische Phänomene, die über Nacht perfekt das Klavierspiel erlernten; nahezu 50 Prozent dieser Menschen waren Autisten, die andere Hälfte hatte Hirnschädigungen anderer Art. Und niemand wusste bis zum heutigen Tag wirklich die Ursache für dieses Phänomen.
    Früher waren sie recht uncharmant als Idiot-Savants bezeichnet worden, was übersetzt »wissende Schwachsinnige« bedeutete. Von Gilles Trehin - dem Stadtzeichner - konnte man das sicher so nicht sagen, denn der Mann hatte Geschichte studiert. Dieses Wissen wandte er auf seine Stadt Urville natürlich an.
    Zamorra bückte zu Frank Golar. »Soweit ich weiß, ist Trehin in keiner Klinik,
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