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087 - Der sentimentale Mr. Simpson

087 - Der sentimentale Mr. Simpson

Titel: 087 - Der sentimentale Mr. Simpson
Autoren: Edgar Wallace
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geknickt.
    »Hat dir denn deine Mutter nie gesagt, daß du kein Einbrecher werden darfst?« fragte das Kind, und Simpson brach zusammen.
    »Meine arme, alte Mutter!« schluchzte er.
    Hier muß eingeflochten werden, daß die verstorbene Mrs. Simpson zeit ihres Lebens von ihren Kindern keiner Zuneigung gewürdigt worden war. Man hatte ihr nämlich die Kinder schon sehr früh weggenommen und auf Kosten der Steuerzahler im örtlichen Waisenhaus aufgezogen. Aber das Wort ›Mutter‹ wirkte eben auf Mr. Simpson in der beschriebenen Weise.
    »Armer Mann«, sagte das Kind zärtlich. Es fuhr Mr. Simpson mit der Hand übers Haar. »Wissen denn deine kleinen Kinder, daß du ein Einbrecher bist?« erkundigte es sich.
    »Nein, Miss«, schluchzte Simpson.
    Er hatte keine kleinen Kinder. Er war nie verheiratet gewesen, aber jede Erwähnung seiner Kinder schnürte ihm die Kehle zu. In seiner Vorstellung verfügte er über eine zahlenmäßig ganz beträchtliche Familie. Manchmal, wenn er sich vorübergehend aus dem Kampf ums Dasein zurückzog, saß er in seiner Zelle, den Kopf auf die Hände gestützt, und malte sich aus, wie sehr die liebe kleine Doris ihren Pappi vermissen würde. Als natürliche Folge solcher Überlegungen hatte er sich der ärgsten seelischen Qualen erfreuen dürfen.
    »Bist du ein Einbrecher, weil du Hunger hast?«
    Mr. Simpson nickte stumm.
    »Du mußt sagen - ›Ich bin am Verhungern, Miss!‹« verbesserte ihn das Kind sanft. »Bist du am Verhungern?«
    Mr. Simpson nickte wieder.
    »Armer Einbrecher!«
    Wieder streichelte sie sein Haar. Er konnte sich nicht mehr beherrschen, fiel neben dem Bett auf die Knie und verbarg das Gesicht in den Händen. Er weinte hemmungslos.
    Er hörte die Kleine auf der anderen Seite aus dem Bett steigen, Hausschuhe anziehen und durchs Zimmer gehen.
    »Ich hole dir etwas zu essen, Mr. Einbrecher«, sagte sie leise.
    Während Mr. Simpson wartete, zog sein ganzes Leben an seinem inneren Auge vorüber. Er schwor sich, ein anderer Mensch zu werden. Er würde ein ehrliches Leben führen. Der Einfluß dieses süßen, unschuldigen Wesens sollte Früchte tragen. Die liebe Kleine, dachte er und trocknete seine Tränen, sie muß jetzt hinunter in die dunkle, kalte Küche, um mir Essen zu bringen. Wie tapfer!
    Es dauerte ziemlich lange, bis sie wiederkam. Sie trug ein schwerbeladenes Tablett. Er nahm es ihr ehrerbietig ab und stellte es auf den Tisch.
    Ihr blauer Seidenkimono ließ die Zartheit und Blässe ihrer Haut besonders deutlich hervortreten. Er starrte sie hingerissen an.
    »Du mußt essen, Mr. Einbrecher«, sagte sie.
    »Ich bringe keinen Bissen hinunter, Miss«, erwiderte er mit tränenerstickter Stimme. »Was Sie mir gesagt haben, hat mich so erschüttert, daß ich nichts hinunterwürgen könnte.«
    Er sprach nicht davon, daß er eine Stunde zuvor kräftig zu Abend gegessen hatte. Vielleicht war es ihm auch entfallen. Sie schien ihn jedenfalls zu verstehen, setzte sich auf den Bettrand und sah ihn ernst an.
    »Du mußt mir von dir erzählen«, meinte sie, »damit ich für dich beten kann.«
    »Bitte nicht, Miss!« flennte Mr. Simpson. »Tun Sie's nicht! Ich halte es nicht aus! Ich bin ein böser Mensch gewesen. Früher habe ich Ladenkassen ausgeraubt. Dann bin ich mit einer Leiter in Villen eingestiegen und habe Schmuck gestohlen, während die Familie im Eßzimmer saß. Und die Sache in Hoxton habe ich auch gedreht - Pelze. In den Zeitungen stand sehr viel darüber. Aber ich will es jetzt aufgeben, Miss«, meinte er heiser. »Ich arbeite nicht mehr für Valentine, und die siebzig Pfund zahle ich ihm eben aus ehrlich verdientem Geld zurück.«
    »Wer ist Valentine?«
    »Ein Hehler, Miss. Was das ist, wissen Sie sicher nicht. In Kennington betreibt er in der Atherby Road das Gasthaus ›Bottle and Glass‹.«
    »Armer Mann«, sagte sie kopfschüttelnd. »Armer Einbrecher, du tust mir so leid.«
    Mr. Simpson schluckte krampfhaft.
    »Ich werde jetzt lieber gehen, Miss, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
    Sie nickte und streckte ihre Hand aus.
    Er küßte die zarten Finger. So etwas hatte er schon im Kino gesehen. Mit leichtem Herzen und der Erkenntnis, daß sein Gewissen jetzt von Schuld befreit war, ging er die Treppe hinunter, aufrecht und freien Blickes. Er öffnete die Tür und trat ins Freie, wobei er allerdings buchstäblich in die Arme von Chefinspektor John Welby, Sergeant John Coleman und Sergeant Charles John Smith lief.
    »Ich ess' meinen Hut samt Rand!« sagte der
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