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0861 - Manege der Hölle

0861 - Manege der Hölle

Titel: 0861 - Manege der Hölle
Autoren: Volker Krämer
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und doch war ihm klar, dass es kein Entrinnen gab.
    Nicht für diese missbrauchten Kreaturen - nicht für ihn. Denn sie alle waren nichts weiter als Figuren, die auf einem Brett hin und her geschoben wurden.
    Dem Spiel des Gauklers der Hölle!
    ***
    »Ich mache mir Sorgen um die Löwenkreatur, das Weibchen. Sie wird uns eingehen.« P.T. hielt den Kopf gesenkt. Eine Art der Demutsbezeugung, die er sich in der Gegenwart des Gauklers angewöhnt hatte.
    »Dann ist daran nichts zu ändern.« Nybbas blickte auf den kleinen Mann hinab. Er war sein Stallmeister, Trainer für die Tiere und Artisten, das Faktotum schlechthin. Mit seiner Knollennase, der Stirnglatze und den wirr abstehenden Haaren, die sich dort anschlossen, sah P.T. schon von Natur aus einem Clown ähnlich. Die traurigen Augen des Mannes, der am Beginn des 19. Jahrhunderts in Bethel, im Staate Connecticut geboren worden war, prädestinierten ihn nahezu für diese Rolle. Doch sie lag P.T. nicht, überhaupt nicht.
    »Gibt es sonst Schwierigkeiten?«
    P.T. schüttelte den gesenkten Kopf. »Nichts von Bedeutung. Hast du Anweisungen für mich?«
    Nybbas überlegte. Ja, warum eigentlich nicht? Das konnte unter Umständen spaßig werden.
    »Die Tigerin… steck sie in den Käfig zu der Löwin.«
    P.T. blickte hoch, direkt in die Augen seines Herrn. Die Tigerfrau war erst heute hier angekommen. Noch war sie ohne Bewusstsein, doch PT. hatte oft genug erlebt, wir die Kreaturen reagierten, wenn ihnen klar wurde, was geschehen war.
    Zwei labile Wesen, eingeschlossen auf engstem Raum. Was bezweckte Nybbas damit?
    Er forderte eine Katastrophe geradezu heraus. PT. nickte nur ergeben, wandte sich zum Gehen. Wahrscheinlich war es einfach so, dass Nybbas seinen Spaß suchte.
    Hatte er das nicht immer getan?
    Nybbas sah seinem Diener nach. Der gute, alte P.T. - langsam begann Nybbas ihn als einen Schwachpunkt in seinem großen Plan zu sehen. Von der Energie, dem Egozentrischen, das P.T. einst so ausgezeichnet hatte, war nun nicht mehr sehr viel zu erkennen. Vielleicht würde Nybbas schon sehr bald handeln müssen.
    Nichts und niemand sollte sein Vorhaben gefährden.
    Seine Reputation innerhalb der Schwarzen Familie, der gesamten Höllenhierarchie, war eine einzige Katastrophe. Nybbas zählte zu den alten Dämonen, den hohen Repräsentanten des Höllenhofes. Seiner Aufsieht unterlagen einst alle Visionen und Träume, doch dieses Gebiet hatten in der Zwischenzeit längst andere untereinander aufgeteilt.
    Nybbas Stern war rasch gesunken -ein, zwei missglückte Aktionen hatten vollkommen ausgereicht. Er hatte von je her als Gaukler und Scharlatan unter seinesgleichen gegolten. Schon immer hatten ihm die Höllischen einen zu starken Hang nach den Vergnügen der Sterblichen nachgesagt.
    Die Menschen - ja, Nybbas liebte ihren Humor. Nicht alle Spielarten davon, doch er war fasziniert vom Spiel der Possenreißer, der traurigen Harlekin, der ewigen Verlierer.
    Als der Stummfilm einen mächtigen Einschnitt in die Form der Unterhaltung vollzog, gab es neue Helden des kleinen Mannes, die Versager und Taugenichtse verkörperten und die Herzen des einstigen Variete-Publikums im Sturm einnahmen. Charlie Chaplin, Buster Keaton - Nybbas konnte sich an deren Qualen hinter ihren Masken nicht satt sehen.
    Und bei vielen von ihnen wurde er zum ungebetenen Gast, der in den Träumen zu ihnen kam, der ihre Visionen verfälschte. Er nahm Einfluss auf sie und ihr Werk. Mehr, als diese Künstler es je geahnt hatten.
    Manchen von ihnen machte er - manchen zerstörte er…
    Doch das alles galt hier nichts. Hier spielte man andere Spiele. Spiele der Macht, Ränkespiele, und Nybbas konnte darin nichts finden, was seiner Philosophie entsprach. Dabei hatte er ja sogar noch richtiges Glück, denn man entledigte sich seiner nicht, sondern ignorierte ihn weitestgehend.
    Sie ließen den Irren spielen.
    Langsam, behäbig, wie es seiner Art entsprach, begab sich Nybbas in die Bereiche, die den Raubtieren vorbehalten waren. Er wollte dabei sein, wenn die Tigerin erwachte.
    Das Areal, tief in den abgelegensten Teilen der Schwefelklüfte verborgen, stand unter keinerlei Beobachtung. Er hatte dafür gesorgt, dass das unmöglich war. Niemand interessierte sich für Nybbas - niemand spionierte ihm nach. Ein Fehler, wie sich schon bald erweisen mochte.
    Zufrieden sog der Dämon die Luft ein. Sie war getränkt von dem typischen Geruch, der den großen Zirkusdynastien immer und ewig angehaftet hatte. Kot, Urin, Schweiß…
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