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0858 - Missgeburt

0858 - Missgeburt

Titel: 0858 - Missgeburt
Autoren: Christian Montillon
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sehen, und deshalb verschloss ich die Augen davor. Alles, was du getan hast, hat letztlich nur deinem eigenen Vorteil gedient. Nicht mehr und nicht weniger.« Er sah zu Boden und bemerkte erst dadurch, dass er beide Hände zu Fäusten geballt hielt.
    Nicole trat neben ihn und legte ihm beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. »Beruhig dich«, flüsterte sie ihm zu.
    Aber er wollte es nicht. Er wollte sich nicht beruhigen und weiterhin gute Miene zum bösen Spiel machen. »Du hast uns ausgenutzt, und du hast Johannes entführt, um auch ihn auszunutzen. Sag mir nur eins: Was genau hast du mit ihm getan? Wie könnte er dir behilflich sein, damit du Heilung findest?«
    Bei jedem Wort duckte sich der Zwitter noch tiefer, als sei er ein verschrecktes Kind, das Schläge fürchtet. In seine Augen zog unendlicher Schmerz ein, Wehmut und noch etwas, das den Parapsychologen trotz allem erschütterte: Überdruss Der Zwitter war seiner Existenz überdeutlich leid. »Johannes steht mir näher als irgendjemand sonst, abgesehen von dir, Zamorra. Er hat vom Wasser des Lebens getrunken und relative Unsterblichkeit erlangt, genau wie Andrew Millings. Er ist ein Auserwählter , genau wie Millings und Torre Gerret. Damit ist er mir ähnlicher als jedes andere Lebewesen, obwohl er immer noch unendlich anders ist als ich.«
    »Abgesehen von mir«, wiederholte der Meister des Übersinnlichen. »Ich habe genau wie Johannes als Auserwählter von der Quelle getrunken. Wieso hast du nicht mich… benutzt?«
    Nicoles Hände klammerten sich um die Schulter ihres Geliebten. »Lass es mich anders fragen. Wieso hast du Zamorra und mich nicht um Hilfe gebeten?«
    Der Zwitter hob eine zitternde Hand. »Ihr hättet dem, was ich vorhatte, nicht freiwillig zugestimmt. Und Zamorra ist ein zu starker Gegner. Ihn hätte ich niemals zwingen können, wie ich Johannes zwingen wollte.«
    »Was willst du dann hier?«, fragte Zamorra. »Warum tauchst du jetzt bei uns auf?«
    »Die Antwort liegt doch auf der Hand. Jetzt bitte ich euch um Hilfe.«
    Bestürzt beobachtete Zamorra, wie sich im Augenwinkel des Zwitters eine Träne sammelte und über die Wange rann.
    »Helft mir, oder ich sterbe.«
    ***
    Johannes schritt durch eine weite Landschaft. Eine schier unendliche Ebene breitete sich vor dem Unsterblichen aus.
    Eine sehr ungewöhnliche Landschaft. Das kniehohe Gras leuchtete in sattem Rot und wiegte sich leicht im Wind, als handelte es sich nicht um Pflanzen, sondern um loderndes Feuer.
    Aber nicht die geringste Hitze ging davon aus; daran konnte es keinen Zweifel geben, denn Johannes ging unermüdlich voran und spürte nichts, wenn er mit jedem Schritt Dutzende Halme knickte. Keine Hitze, aber auch keine Kälte oder auch nur leichten Widerstand.
    Buchstäblich nichts.
    In der Ferne ragte ein zerklüftetes Gebirge auf, doch auch dieses war alles andere als gewöhnlich. Die Steine schimmerten grün und reflektierten das Licht einer blauen Sonne.
    Die Luft roch nach süßlichem Harz - und gleichzeitig nach etwas Bitterem, in dem der einsame Wanderer den Duft des Todes erkannte. Schwermut legte sich auf seine Seele, je länger er gezwungen war, diesen Hauch der Vergänglichkeit zu atmen.
    Er war allein. Völlig allein.
    Schon seit Tagen, oder waren es inzwischen Wochen? Johannes wusste es nicht. Er hatte Angst, fürchtete, dass ihm nach der ewigen Gefangenschaft in Kelvos Höhle in Tilasim eine zweite Ära der Einsamkeit bevorstand.
    Diese Angst fraß an ihm. Fraß in ihm. Und je länger diese Angst währte, desto mehr veränderte sich die Landschaft um ihn, desto weiter entfernte sie sich von der Wirklichkeit.
    Soeben intensivierte sich das Blau der Sonne, wurde dunkler, immer dunkler, bis sie zu einem schwarzen, lichtlosen Ball am ersterbenden Himmel mutierte. Der Himmel zerbrach, die unendliche Ebene zerpulverte. Der aufsteigende Staub mischte sich mit den herabfallenden Splittern, die zu rotieren begannen.
    Vor Johannes entstand ein Strudel aus Nichts, der ihn einsaugte und in seiner Gefängniszelle wieder ausspuckte.
    Er lachte bitter.
    Natürlich hatte er in Wirklichkeit diese Zelle niemals verlassen, hatte nie das fremdartige Gras berührt und den Todesduft gerochen. Es war Suggestion gewesen. Autosuggestion.
    Johannes hatte seine Fähigkeit, andere zu täuschen, auf sich selbst angewandt. Er hatte sich selbst etwas vorgegaukelt, das nicht existierte, um dem immer gleichen tristen Anblick der Metallwand zu entkommen.
    Zuerst war diese irreale Welt schön
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