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0840 - Siegel der Rache

0840 - Siegel der Rache

Titel: 0840 - Siegel der Rache
Autoren: Volker Krämer
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beizukommen, mit Güte ebenso wenig.
    Als er dreizehn Jahre alt war, stahl er das Silbergeschirr seiner Eltern, die ihn dafür zehn Tage lang in eine Jugendhaftanstalt sperren ließen. Hart, aber sie wussten sich damals sicher nicht anders zu helfen.
    Eingesperrt sein… wahrscheinlich hatte in jenen Tagen dieses Lebenstrauma bei ihm begonnen. Ein Jahr später nur langte Eugène kräftig in die Geldkassette des Vaters und nahm Reißaus - Richtung Amerika. Oh, was für spannende, wenn auch entbehrungsreiche Jahre sollten folgen. Vom Stalljungen zum Gaukler, vom Marionettenspieler zum Jahrmarktmonster.
    »Hereinspaziert, die Damen, die Herren! Sehen und erleben sie den karibischen Kannibalen - Gänsehaut ist garantiert! Hereinspaziert…«
    Der karibische Kannibale hatte rohes Fleisch zu essen, damit es dem verehrten Publikum so richtig fein übel wurde. Doch noch übler wurde dabei natürlich Eugène selbst und er beschloss, nach Frankreich zurückzukehren.
    Wilde Jahre in der Armee folgten -mit ungezählten Duellen und mindestens ebenso vielen Liebschaften. Wobei sich das eine oft aus dem anderen ergab. Manchmal konnte er kaum nachhalten, wie viele Galane gerade hinter ihm her waren. Doch auch diese Zeit überstand er unbeschadet, kehrte schließlich erneut in den Schoss der Familie zurück.
    Als er recht überhastet heiratete, endete das, was man Jugendjahre nennt, ziemlich abrupt…
    Draußen wurde es wohl langsam hell. Die Geräusche auf dem Gang, der hinter der Tür lag, brandeten auf. Nur langsam und unwillig tauchte sie aus der Welt der Zuhörerin auf, zurück in die Realität. Das Lächeln, dass Eugènes Geschichte auf ihre Lippen gezaubert hatte, verschwand rasch. Oft wünschte sie sich, diese Zeiten der Stille und Dunkelheit würden für immer andauern -die Schwestern machten ihr keine Angst mehr, denn die Einsamkeit in ihrem Kopf war längst besiegt.
    Die Tür öffnete sich, wie sie es an jedem Morgen tat.
    Die Frau reagierte nicht darauf.
    Ein Tablett wurde fast geräuschlos auf dem kleinen Tisch abgestellt. Kaffee, Brot, ein wenig Butter und Käse. Wahrscheinlich würde sie nur die schwarze Brühe trinken, den Rest unberührt lassen.
    Viele Minuten vergingen, ehe sie sich von der Liege erhob.
    Ihre Schläfen schmerzten - kein Vorzeichen für einen einigermaßen erträglichen Tag. Mit schlurfenden Schritten ging sie zu dem Tisch und dem ungepolsterten Stuhl, auf dem sie sich sofort niederließ. Wahrscheinlich war Eugènes Geschichte in der Nacht zu intensiv gewesen; der Schwindel im Kopf wollte jedenfalls nicht verschwinden.
    Dass neben dem Tablett eine extrem dicke Tageszeitung für sie abgelegt worden war, bemerkte sie nicht sofort.
    Dann jedoch schärften sich Verstand und Konzentration in gleichem Maße. Achtlos schob sie die Kaffeetasse beiseite, würdigte Brot und Käse keines Blickes.
    Die einzige Nahrung, die sie benötigte, war die für ihren Geist, nicht für ihren Körper.
    Mit fahrigen Bewegungen schlug sie das Tagesblatt auf…
    ***
    Es war kalt geworden in den dicken Mauern des Châteaus.
    Doch diese Kälte war nicht von der Art, gegen die man einen Pullover oder eine dicke Winterjacke ins Feld schicken konnte. Das war sinnlos, denn der Frost hatte seinen Ursprung in den Personen, die hier lebten und arbeiteten.
    Zamorra war sich dessen sehr wohl bewusst, doch er versuchte, es zu ignorieren. Zudem war er sich keiner Schuld an dieser Atmosphäre des Schweigens bewusst. Er hatte den größten Teil der letzten Tage in seinem Arbeitszimmer verbracht, das im Nordturm des Châteaus lag. Es war durchaus nicht unerwünscht, dass man ihn dort über Stunden nicht störte - im Gegenteil… Das war ja im Grunde exakt das, was er sich immer unter effektivem Arbeiten vorgestellt hatte.
    Meist war es jedoch anders gekommen. Von Nicole bis hin zu Fooly, dem tollpatschigen Hausdrachen, war da immer jemand gewesen, der ihn unterbrochen, abgelenkt hatte.
    Das war nun anders. Ganz anders.
    Wenn Zamorra es sich auch nur ungern eingestand, so fehlte ihm nun sogar das mehr als nur einmal verfluchte Drachengeschnatter. Wo sich Fooly vor seinem Chef, wie er Zamorra gerne nannte, versteckte, das wusste der Parapsychologe nicht. Er hatte keine Lust, dem Jungdrachen auch noch hinterherzulaufen.
    Und Nicole… natürlich hatte sie ihn nie wirklich gestört. Wie hätte sie das auch gekonnt? Er liebte sie - das sagte doch schon alles. Jetzt ging sie ihm aus dem Weg, wo immer sie das nur konnte. Zu viel war geschehen.
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