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0811 - Dämonensplitter

0811 - Dämonensplitter

Titel: 0811 - Dämonensplitter
Autoren: Volker Krämer
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Missgeburt? Ein Monster, dem irgendwer den Schädel eingeschlagen hat? Wenn dem so ist, warum hat man mich dann nicht sterben lassen?
    Sie verdrängte die Fragen und konzentrierte sich auf den Kraftakt, den sie begonnen hatte. Vorsichtig kam sie auf die Füße. Der Stuhl wackelte hin und her, doch das hielt sie nun nicht mehr auf. Mit aller Kraft ihrer kleinen Hände löste sie die Verriegelung am Fensterrahmen und ließ die blickdichte Blende nach innen in den Raum schwingen.
    Licht und Wärme drangen auf ihren geschundenen Körper ein. Und der Geruch - dieser herrliche Duft nach Thymian, Myrte, Wacholder und Lavendel - verschlug ihr beinahe den Atem. Erst langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Tageslicht. Dann genoss sie den unvergleichbaren Ausblick, der sich ihr hier bot.
    Das Tal, das sich vor ihren Augen endlos ausbreitete, glich einem grünen Flickenteppich, dessen Hauptbestandteil ein mächtiger Kastanienwald war. Kleine Wege schlängelten sich wie Adern durch das Grün - ab und an sah sie vereinzelte Häuser, die nicht viel mehr als Ruinen zu sein schienen. Und direkt unterhalb ihres Aussichtspunktes klebte das Dorf am Berghang. Vielleicht dreißig Häuser, mit rohen Fassaden, eine kleine Kapelle. Mehr konnte sie nicht erkennen.
    So sehr sie das alles auch begeisterte - es war ihr fremd. Es war ihr vollkommen klar, dass dies hier nicht ihre Heimat sein konnte.
    Sie gehörte nicht hierher.
    Plötzlich entdeckte sie die hagere Gestalt, die auf dem Dach des am nächsten gelegenen Hauses stand. War das ein Kind? Vielleicht ein Jugendlicher, jedenfalls wirkte die ganze Figur schlaksig und irgendwie ungelenk… eben unfertig.
    So sehr sie sich auch bemühte, so unmöglich war es ihr zu entscheiden, ob das ein Junge oder ein Mädchen war. Wilde schwarze Locken umspielten ein mageres Gesicht. Gekleidet war die Gestalt in eine viel zu große Hose und eine Art ärmellosen Poncho. Doch es dominierten die Augen, die zwei Kohlestücken ähnelten. Und diese Kohlen starrten direkt in ihre Richtung, schienen sich an ihrem Anblick festzusaugen.
    Für Sekunden überlegte sie, ob sie der Gestalt winken sollte. War es ratsam, Kontakt nach außen zu suchen? Für einen Augenblick ließ sie sich ablenken… dann sah sie nur noch das leere Dach vor sich. Die Gestalt schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
    Die Geräusche auf dem Flur schreckten sie aus ihren Gedanken hoch.
    Im nächsten Moment betraten ihre Pflegerinnen den Raum. Eine der beiden hielt eine kleine Schale in der Hand, in der sich die Schmerztabletten befanden. Erst jetzt spürte sie, wie heftig der Schmerz in ihr wütete. Es wurde Zeit für das Medikament.
    Ohne Gegenwehr ließ sie sich von den Frauen wieder in ihr Bett bringen. Die zwei waren wortkarg wie immer, und wenn sie mal leise miteinander sprachen, dann verstand sie davon kaum ein Wort. Dieses Idiom schien eine Mischung aus mehreren Sprachen zu sein. Italienisch war darin vorhanden, mindestens soviel wie französische Einflüsse. Doch der Sprachstamm schien Latein zu sein, wenn sie sich nicht irrte.
    Wer bin ich… wer war ich? Ich spreche offensichtlich mehrere Sprachen… wo habe ich das gelernt? Wann wird man mir Antworten geben? Nie?
    Letzteres sah sie als wahrscheinlich an. Daher hatte sie beschlossen zu handeln.
    Mit einer wortlosen Geste reichte eine der Frauen ihr das Wasserglas und die drei Pillen. Die Gesichter der Frauen schienen wie immer vollkommen emotionslos. Es gab kein Lächeln, kein freundliches Zunicken - nicht einmal das Runzeln einer Stirn. Sie ähnelten Marionetten, die ganz einfach nur ihre Aufgabe erfüllten. Mehr war von ihnen nicht zu erwarten.
    Mit dem Wasser spülte sie die Medikamente nach. Es dauerte keine zwei Minuten, bis der Schmerz langsam zu weichen begann. Sie schloss die Augen, genoss das Gefühl. Langsam kam die Müdigkeit. Gleich würde sie wieder für Stunden schlafen.
    Wie auf ein geheimes Zeichen hin erhoben sich die Frauen von der Bettkante und verließen den Raum.
    Noch einmal öffnete sie die Augen, denn der Schlaf wollte heute nicht so rasch wie sonst zu ihr kommen. Dafür gab es einen guten Grund. Zwischen den Fingern ihrer rechten Hand drehte sie die kleine Pille. Dann steckte sie die rosafarbene Kugel zwischen Matratze und Bettrahmen.
    Nummer eins… und weitere werden folgen…
    Wenn sie fliehen wollte, dann musste sie sich einen kleinen Vorrat zulegen, denn ohne das Mittel würde sie keinen Tag durchhalten.
    Sie wollte fort von hier. Wohin? Sie hatte
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