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0767 - Zeit der Wachsleichen

0767 - Zeit der Wachsleichen

Titel: 0767 - Zeit der Wachsleichen
Autoren: Jason Dark
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neues Ziel ausgesucht, und es würde die Nacht schon sehr bald zu einer Hölle machen…
    ***
    Ich hatte die Mörderin dazu überreden können, mit mir in die Kirche zu gehen. Himmel, wie mußte sich eine Frau wie sie fühlen, wenn sie ein Gotteshaus betrat?
    Es war nicht mein Problem, wir hatten andere, und dazu zählte natürlich der lebende Tote.
    Eine Wachsleiche also! Ich schüttelte den Kopf, denn dieser Begriff war mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Mit dieser Art von Monstren hatte ich es bisher noch nicht zu tun gehabt, aber was mir die Frau gesagt hatte, klang logisch.
    Ich öffnete die Kirchentür. Dabei entstand ein Quietschen, weil ich die Tür zu langsam aufgezogen hatte. Sally Vincaro bekam eine Gänsehaut, handelte aber profihaft.
    Während ich meinen Fuß über die Schwelle setzte, drehte sie mir den Rücken zu und blickte über den Friedhof, in einer Hand die Waffe.
    Sie sah niemanden.
    Ich zischte ihr zu, endlich zu kommen. Das tat sie, und ihr Eintritt in das Gotteshaus wurde von einem grellen Blitz und einem mächtigen Donnerschlag begleitet. Sie zog den Kopf ein. Ich lächelte knapp. Das Donnern hatte sich angehört, als wäre es irgend jemand nicht recht, daß eine Frau wie sie in die Kirche ging. Die Tür fiel langsam hinter uns zu, ohne allerdings zu kreischen.
    Ich wartete auf Sally.
    Sie schob sich neben mich. Ihr Blick glitt durch die Düsternis im Kirchenraum. Die Schatten sahen aus wie blasse Vorhänge, die überall hingehängt worden waren. Durch ein Fenster an der Seite sickerte sogar etwas Mondlicht und streute einen bleichen Schleier auf den blanken Boden und die hellen Bänke. Sie waren ein Meisterwerk des Kunsthandwerks. Schreiner, Möbelbauer und Drechsler hatten hier perfekt zusammengearbeitet.
    Sie lag vor uns wie auf dem Präsenstierteller. Ich schaute den Mittelgang hindurch bis zum Altar hin. Ich ließ mich auch nicht von den Äußerlichkeiten ablenken, denn trotz der schlechten Sichtverhältnisse war die Pracht dieses Gotteshauses nicht zu übersehen.
    Ich gehöre zu den Menschen, die öfter in Kirchen sind. Ich habe demnach viele erlebt und auch immer ihre Seele aufnehmen können. Für mich persönlich hatten Kirchen Seelen. Ich konnte es nicht klarer definieren, man mußte es einfach spüren, und ich kannte Kirchen, die hatten keine positiven Seelen. Da war eine Kälte zu spüren, die nicht von dieser Welt gekommen war. Besonders bei sehr alten und entweihten Kirchen hatte ich das erlebt. Hier jedoch spürte ich etwas von der guten Seele des Gotteshauses, und das wiederum machte mich froh.
    Ich atmete tief durch.
    Als ich dann ging, hörte ich hinter mir das Zischeln der Frauenstimme. »Wo wollen Sie hin?«
    Ich gab die Antwort, ohne mich umzudrehen. »Zum Altar.«
    »Was wollen Sie da?«
    Diesmal bekam sie keine Antwort. Es war mir egal, ob sie mir folgte oder im Hintergrund blieb. Ich schaute nicht zurück, aber ich hatte die einsame Gestalt gesehen, die auf der unteren, sehr breiten Altarstufe kniete.
    Die Gestalt rührte sich nicht. Sie war im Gebet vertieft und trug die Kleidung eines Priesters. Auch wenn ich meine Schritte gedämpft hatte, lautlos konnte ich mich nicht bewegen. Der Pfarrer mußte mich einfach gehört haben. Er nahm keine Notiz von mir. Den Kopf gebeugt kniete er vor dem Altar wie jemand, der sich in sein Schicksal ergeben hatte und sich nicht mehr daraus befreien konnte.
    Hinter ihm blieb ich stehen.
    Ich roch den Weihrauch. Ich sah auch neben ihm ein mit Weihwasser gefülltes Gefäß stehen, und dann hörte ich, daß der Mann leise vor sich hinweinte.
    Warum? Hatte er Angst? War er bereits zu einem Zeugen des Grauens geworden?
    Ich senkte meine Hand und legte sie ihm auf die Schulter. Zuerst rührte er sich nicht. Dann zuckte er zusammen, das leise Weinen verstummte. Er wartete.
    »Bitte«, sagte ich leise. »Sie brauchen keine Angst zu haben, Herr Pfarrer. Ich bin gekommen, um Ihnen einige Fragen zu stellen. Ich muß mit Ihnen sprechen.«
    Er atmete tief und schwer.
    Ich nahm meine Hand zurück, er spürte seine Freiheit und drehte sich um. Er schwankte. Ich stützte ihn ab, half ihm auf die Füße und schaute schließlich in das Gesicht eines Mannes, dessen Züge von einer starken Qual gezeichnet waren. Das fahlblonde Haar klebte auf seiner Stirn, die Lippen zuckten, er rang nach Worten und fand sie schließlich.
    »Bitte, gehen Sie! Bleiben Sie nicht länger hier. Diese Kirche steht auf verfluchtem Boden. Ich weiß nicht, ob sie uns noch
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