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0767 - Zeit der Wachsleichen

0767 - Zeit der Wachsleichen

Titel: 0767 - Zeit der Wachsleichen
Autoren: Jason Dark
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das Fenster ein. Vor Schreck schrie der Pfarrer auf. Er hörte das Klirren des Glases, in das sich auch platzende Geräusche mischten, und dann sah er, wie die ihm riesig vorkommenden Hände in das Innere des Zimmers stießen.
    Hände, die gespreizt und normal waren, die aber nicht normal hätten sein dürfen.
    Mein Gott! schrie es in ihm. Keine Schnittstellen, kein Blut! Das ist unerklärlich!
    Kein Blut! Kein Blut!
    Pfarrer Prantl wußte ja nicht, daß lebende Wachsleichen nicht bluteten…
    ***
    Audrey Houston hatte sich selbst umgebracht, vergiftet. Der Tod einer Killerin, die versagt und genau gewußt hatte, daß ihr die Organisation das nie verzeihen würde. So war sie den anderen Weg gegangen. Sie hatte sich dabei auf den geschlossenen Deckel der Toilette gesetzt. Dabei war sie zur Seite gekippt und lehnte mit der rechten Schulter an der Kante des Waschbeckens. Auch der Kopf war nicht mehr in einer geraden Haltung geblieben, er hatte ebenfalls die Körperhaltung eingenommen, und ich schaute auf den Mund der Toten.
    Die Lippen waren leicht verzogen, als wären sie in der Sekunde des Todes von einem Krampf geschüttelt worden. Der linke Mundwinkel stand leicht offen. Aus der Lücke war heller Schaum gequollen und in Höhe des Mundes bereits getrocknet.
    Ich steckte die Beretta weg. Die brauchte ich jetzt nicht mehr. Ich hob noch das Augenlid der Frau an und überzeugte mich davon, daß sie tatsächlich nicht mehr lebte.
    Dann schloß ich die Tür.
    Mit dem Rücken lehnte ich mich gegen die Flurwand und atmete zunächst tief durch.
    Die tödlichen Überraschungen nahmen an diesem Abend kein Ende. Die Gewalt hatte sich verdichtet, und jetzt sprengte sie den Rahmen. Ich wußte auch, daß dies erst zum Vorspiel gehörte. Weitere schlimme Dinge würden folgen.
    Dies war wieder einer der Momente, wo ich mich auf keinen Fall von meinen Gefühlen leiten lassen durfte. Ich brauchte jetzt klares nüchternes Denken, rechnete nach und kam zu dem Ergebnis, daß mir die folgende Nacht als Zeitfaktor zur Verfügung stand. Wenn sie vorbei war, mußte auch der Fall erledigt sein, denn am anderen Morgen würde man die Leichen entdecken, und den Trouble wollte ich nur ungern mitmachen. In meiner Kehle lag ein bitterer Geschmack. Allmählich ließ die Anstrengung nach. Ich holte mir aus der Minibar eine kleine Flasche Saft und leerte sie mit zwei Schlucken.
    Dann schaute ich auf die Uhr.
    Noch zwei Stunden bis Mitternacht.
    Nicht daß dieser Zeitpunkt besonders interessant gewesen wäre, aber um diese Stunde wollte ich nicht mehr im Hotel sein und die Spur der Davies' aufgenommen haben, die eigentlich nur zum nächstliegenden Friedhof führen konnte.
    Ich mußte Sir James Abbitte leisten. Er hatte schon den richtigen Riecher bewiesen, als er mich nach Grainau schickte, denn das Grauen war noch nicht gestoppt worden. Ich allerdings war bisher nicht direkt mit den Mächten der Finsternis in Kontakt getreten, was mich wurmte, dann hätte ich das Grauen vielleicht stoppen können.
    Mit diesen Gedanken verließ ich die Suite. Diesmal sah ich Hotelgäste auf dem Gang. Zwei Ehepaare standen nicht weit entfernt zusammen und redeten miteinander. Neben einem der Männer hatte sich ein Golden Retriver niedergelassen und schaute mich aus seinen großen Augen an, als ich grüßend an der Gruppe vorbei zum Lift ging.
    So wie sie sich verhielten, konnten sie einfach nichts bemerkt haben, das wiederum gab mir Mut.
    Der Lift stand noch oben. Ich ließ mich von ihm hinunter in die Halle bringen, die leer aussah. Weiter hinten jedoch hockten die Hotelgäste zusammen, und durch die offenstehende Terrassentür drang ein kühler Luftzug durch die Halle. Er traf sich mit dem, der vom Eingang hereinwehte, denn auch dort standen die Türen offen, um etwas von der stickigen Wärme aus der Halle zu treiben.
    Es war alles normal. Nichts ließ darauf schließen, daß in diesem Hotel etwas Furchtbares geschehen war und es zwei Morde gegeben hatte. Von Sally Vincaro sah ich nicht einen Absatz. Ich konnte mir zudem nicht vorstellen, daß sie wieder auf der Terrasse saß, schaute sicherheitshalber noch einmal nach, entdeckte nur wenige Gäste an den Tischen - den meisten war es zu windig geworden -, durchquerte wieder die Halle und verließ das Hotel an seiner Vorderseite.
    Ich trat sofort aus dem Lichtschein weg ins Dunkle und wartete in dieser Deckung.
    Niemand näherte sich mir. Auch vom Parkplatz her hörte ich keine außergewöhnlichen Geräusche.
    Der Wind
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