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0736 - Jäger der Nacht

0736 - Jäger der Nacht

Titel: 0736 - Jäger der Nacht
Autoren: Jason Dark
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Anne. »Nur zu verschiedenen Zeiten.«
    »Richtig.«
    »Und was machen wir jetzt?«
    May hob die Schultern. »Ich muß etwas trinken«, flüsterte sie.
    »Danach werden wir uns hinsetzen, reden und darüber nachdenken, wie es weitergeht.«
    »Hast du keinen Hunger?«
    »Kaum.«
    »Aber ich.« Anne Wilde lächelte. »In der Nähe ist eine Pizzeria. Ich werde dort etwas holen.«
    »Tu das.«
    Anne verschwand, hatte kaum die Tür hinter sich geschlossen, als May Feldman sich auf einen Stuhl setzte, den Rücken gegen das Korbgeflecht der Lehne drückte und es nicht schaffte, die Tränen zurückzuhalten. Sie liefen über ihre Wangen. Mit beiden Frauen war etwas Furchtbares und Unheimliches geschehen. Etwas, das sie keinem sagen konnten, weil man sie sonst in eine Nervenklinik eingesperrt hätte. May heulte wie ein Schloßhund. Sie spürte wieder, wie sie das Zittern überkam. Sie konnte nicht dagegen ankämpfen. Es war ein regelrechter Weinkrampf, der erst viel später abflaute.
    So fand sie Anne Wilde.
    Anne hatte auch noch etwas zu trinken mitgebracht. Italienischen Rotwein aus der Toscana, aber selbst den lehnte May Feldman ab.
    Sie konnte nichts essen und auch nichts trinken. Kehle und Magen waren wie verstopft.
    »Dann eben nicht«, sagte Anne. Sie setzte sich an den Tisch und packte die Pizza aus dem Karton. Vor dem Verlassen des Hauses hatte sie sich noch rasch umgezogen. Sie trug jetzt ihre grauen Jeans, einen dünnen Pullover und die Lederjacke, die ihr zu warm war, deshalb zog sie das gute Stück aus.
    Dabei dachte sie daran, daß sie mit der ganzen Wahrheit noch zurückhaltend sein wollte. Es hatte keinen Sinn, May zu sagen, was zusätzlich noch passiert war.
    Sie hatten ja nicht nur einige Stunden in dem anderen Zustand ausgeharrt, nein, er hatte drei Wochen gedauert, zumindest bei Anne Wilde. Und diese Tatsache ließ sie frösteln. Aber sie weigerte sich strikt, darüber nachzudenken. Anne wußte nur, daß Westlake für seine Assistentinnen ein Mini-Apartment mietete, wenn er sich länger an einem Ort aufhielt. In diesem Fall war es London gewesen.
    May Feldman weinte noch immer, nur nicht mehr so schlimm.
    Anne hatte längst beschlossen, daß sie mit ihr reden mußte, nur nicht in diesem Zustand.
    Sie aß. Zwischendurch hob May den Kopf, schaute sie aus verheulten Augen an und sagte: »Ich bin eine blöde Gans, nicht?«
    »Warum?«
    »Weil ich hier hocke und flenne.«
    Anne winkte ab. »Das ist nicht weiter tragisch. Wenn es mehr nicht ist.« Sie trank einen Schluck Wein. »Andere wären durchgedreht und vielleicht aus dem Fenster gesprungen.«
    »Das sagst du.«
    »Dabei bleibe ich auch. Jedenfalls haben wir überlebt. Und das ist auch etwas.«
    »Sicher.«
    »Klingt nicht optimistisch.«
    May stand auf und zog sich um. Sie streifte ein rotes Wollkleid über, das ziemlich kurz war und wie eine Glocke fiel. Danach verschwand sie im Bad, und Anne hörte sie murmeln: »Ich muß furchtbar aussehen. Schrecklich!«
    »Macht nichts, Baby, wir packen das schon.«
    »Meinst du?«
    »Klar doch.«
    »Und wie?«
    »Sage ich dir gleich. Laß mich erst einmal essen.« Anne Wilde schaute zum Fenster.
    Sie wohnten im achten Stock. Der Himmel über London war winterklar. Die Luft schien zu knistern, es war sehr kalt geworden. Die Temperaturen lagen unter dem Gefrierpunkt. Nahe der Themse würden jetzt Dunstschwaden über die Fahrbahnen streifen und auf ihnen gefrieren, so daß sie die Straßen zu Rutschbahnen machten.
    Die Wintersonne stand wie ein blasser Kreis am Himmel. Im Januar hatte sie noch keine Kraft, aber einige Wochen später würde es schon anders aussehen.
    Was war nur mit ihnen geschehen? Anne Wilde dachte darüber nach, und plötzlich schmeckte ihr die Pizza nicht mehr. Sie hatte das Gefühl, sich irgendeinen faden Teig zwischen die Zähne zu klemmen.
    Sie schob die Hälfte zur Seite, gönnte sich einen kräftigen Schluck Wein, spülte den Mund aus, schaute wieder zum Fenster hin und dachte daran, daß die Sonne bald verschwinden würde, denn der Tag neigte sich bereits dem Ende zu.
    May Feldman kehrte zurück. Sie sah jetzt besser aus, hatte ihr Gesicht gewaschen und Rouge aufgelegt. Sogar das Haar hatte sie durchgefönt. Es fiel in Wellen zu beiden Seiten des Kopfes herab und schwang bei jedem Schritt im Gleichklang mit dem Kleid.
    »Gut siehst du aus, May.«
    »Hör auf, Anne.«
    »Wein?«
    May blieb vor dem Tisch stehen und drückte ihre Handballen gegen die Kante. »Wäre nicht schlecht.«
    »Hol dir ein
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