Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0724 - Vampirträume

0724 - Vampirträume

Titel: 0724 - Vampirträume
Autoren: Claudia Kern
Vom Netzwerk:
wobei Youwei seine Äußerung, der Kopf des Regenten sei so leer wie der Geldbeutel einer fäulniskranken Hure, immer noch als recht treffend empfand - war die gesamte Familie inklusive Dienern und Soldaten bestraft worden. Der Regent hatte Wang Youwei zu einer dringenden Mission an die Grenze des Reiches berufen und seiner Frau und den Konkubinen den Zugang zum Palast verwehrt. Vermutlich hoffte man in Wuchang, dass er bei der Mission ums Leben kam, denn abseits der großen Handelsstraßen herrschten immer noch Banditen und Deserteure über das Land.
    Den Gefallen eines ehrenvollen Todes werde ich ihnen aber nicht erweisen , dachte Youwei, als er zur Sänfte ging. Ich werde Wuchang Wiedersehen.
    In einem seltenen Moment der Unsicherheit wurde ihm bewusst, welches Bild er neben Li bot. Sein Hauptmann war groß, hager und strahlte eine würdevolle Autorität aus. Youwei hingegen hatte ein zeitlos weiches Gesicht und eine Körperform, die manchen munkeln ließ, er sei nicht zufällig in der Stunde des Schweines geboren. Es gab keine Frage, wem die Soldaten folgen würden, wenn Li sich entschied, der Schmach durch einen gezielten Schwerthieb ein Ende zu setzen.
    Youwei wusste, dass er vorsichtig sein musste.
    Trotz der Hitze schloss er die Vorhänge der Sänfte, um mit sich und seinen Gedanken allein zu sein. Die Reise wurde mit jedem Tag beschwerlicher und die Moral seiner Truppe sank. Am liebsten wäre Youwei mit ihnen durch die engen Täler und über die schroffen Felsen gegangen, aber seine hohe Stellung ließ das nicht zu. So wie Li gezwungen war, auf seinem Pferd vor den einfachen Soldaten her zu reiten, musste er die Sänfte benutzen - auch wenn das heftige Schaukeln Übelkeit verursachte und das Keuchen der Sklaven seine innere Harmonie störte.
    Youwei breitete die Karte auf seinen Knien aus und kniff die Augen zusammen. Wenn seine Berechnungen stimmten, hatten sie den Rand des weißen Flecks erreicht, der den Oberlauf des Jiangzi markierte. Von jetzt an war er nicht nur ein Beamter des Regenten, sondern ein Entdecker, der in unbekanntes Gebiet vorstieß. Damit hatte er sich das Wohlwollen der feinen Gesellschaft von Wuchang praktisch schon verdient, denn trotz allen Prunks und Reichtums war das Leben im Palast von Langeweile und ständig gleichen Ritualen geprägt. Man dürstete nach neuen Geschichten über Abenteuer und Gefahren und würde Youwei gerne wieder aufnehmen - egal, was er über den Kopf des Regenten gesagt hatte.
    Mit einem Ruck wurde die Sänfte abgesetzt. Youwei schob den Vorhang zur Seite und beobachtete, wie Li von seinem Pferd sprang und sich vor ihm verneigte.
    »Herr, Ihr solltet sehen, was vor uns liegt.«
    »Danke, Hauptmann.«
    Youwei stieg mit knackenden Gelenken aus der Sänfte und streckte sich. Die Sklaven knieten bereits am Boden, die Köpfe auf den Boden gepresst. Neben ihnen hockten die einfachen Soldaten, die den Boden ihrer Stellung entsprechend nur mit einem Knie berührten. In der strikten Hierarchie, die vom obersten Fürsten bis zum niedrigsten Bettler reichte, nahm jeder seinen genau definierten Platz ein. Disziplin und Gehorsam waren auch für Youwei die obersten Tugenden, deshalb genoss er den Anblick für einen Moment, bevor er Li auf die Spitze des Hügels folgte.
    Die Landschaft hatte sich in den letzten Stunden verändert, war fruchtbarer und grüner geworden. Felsen ragten wie dunkle Finger aus den Tälern empor und Youwei glaubte, in der flirrenden Hitze die Umrisse eines Gebirges zu erkennen. Die Luft war schwer und schmeckte süßlich.
    »Ich hoffe, wir müssen nicht über die Berge«, sagte Li. »Auf den Gipfeln liegt bereits Schnee.«
    Youwei nickte, obwohl er nichts davon erkennen konnte. Bereits seit einigen Jahren sah er auf große Entfernungen schlecht, aber in den letzten Monaten hatte sich dieser Zustand verschlimmert, bis alles, was mehr als zehn Schritte entfernt war, in einem diffusen Nebel versank.
    Nach meiner Rückkehr werde ich einen Arzt aufsuchen, versprach er sich selbst. Bis dahin musste er diese Schwäche so gut es ging vor seinen Begleitern verbergen.
    »Wenn unser Auftrag es verlangt«, sagte er nach einem Moment, »werden wir auch die Berge meistern. Lass uns weiterziehen.«
    Er drehte sich um, aber Li folgte ihm nicht, sondern blieb sichtlich überrascht stehen. »Aber Herr, sollen wir nicht zuerst einen Späher ins Tal schicken?«
    Wozu?, wollte Youwei fragen, aber dann bremste er sich. »Ich dachte, das sei offensichtlich, Hauptmann…
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher