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0724 - Vampirträume

0724 - Vampirträume

Titel: 0724 - Vampirträume
Autoren: Claudia Kern
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Reichtum - und an die Fangzähne der Vampirsoldaten… [1]
    »Die Schriftrollen«, fuhr Fu Long fort, »sind der erste wirkliche Beweis für die Existenz dieser Stadt. Es steht einiges darin, was du erfahren solltest, deshalb habe ich dich hergebeten.«
    Zamorra betrachtete die fremden Schriftzeichen mit ihren geschwungenen Linien und eleganten Strichen. Obwohl er aus Gründen, die er selbst nicht verstand, gesprochenes Mandarin-Chinesisch von Mal zu Mal besser verstand, entzog sich ihm die Bedeutung der Zeichen.
    »Hast du die Texte übersetzt?«, fragte er.
    »Nein, aber wenn ich Recht habe, wird das auch nicht nötig sein.«
    Warum?, wollte Zamorra entgegnen, aber Fu Long beugte sich bereits über die Schriftrolle und begann halb singend, halb sprechend daraus vorzulesen.
    »Shehuizhuyi she hong.«
    Die Töne schwebten von seinen Lippen empor, glitten mit Leichtigkeit über die Kluft der Jahrtausende und verwoben sich zu einer Melodie, die im Knacken des Feuers und im Knistern des alten Papiers aufging. Zamorra schloss die Augen, lauschte auf die Töne, die ihn fremd und doch vertraut umspielten. Worte schälten sich daraus hervor, während er glaubte, selbst ein Teil der Melodie zu werden und sich in ihr zu verlieren.
    In…
    Diesem…
    Land…
    Die Melodie verstummte. Zamorra öffnete die Augen und sah Fu Long an.
    »In diesem Land«, übersetzte er die erste Zeile der Schriftrolle, »das die Götter vergessen haben, regieren Krankheit, Hunger und Tod.«
    Er stutzte und runzelte die Stirn. »Und jetzt erkläre mir bitte, wieso ich ein zweitausend Jahre altes Manuskript fehlerfrei übersetzen kann, wenn ich noch vor einem Jahr keine Frühlingsrolle auf Chinesisch hätte bestellen können?«
    Fu Long sah nicht auf. »Darum sind wir hier«, sagte er und begann vorzulesen: »In diesem Land, das die Götter…«
    ***
    …vergessen haben, regieren Krankheit, Hunger und Tod.
    Wang Youwei legte den Schreibpinsel zur Seite und tupfte die Tinte vorsichtig trocken. Obwohl die Stunde des Drachen gerade erst begonnen hatte, hing die Hitze bereits schwer über dem Tal. Die acht Soldaten, die Youwei begleiteten, saßen im Schatten einiger Felsen und aßen kalte, in Lotusblätter gehüllte Reisbällchen. In respektvoller Entfernung nahmen auch der Koch und die ausgemergelten Sklaven ihr Frühstück ein. Da sie mehr als zehn Schritte entfernt waren, sah er sie nur als verschwommene Schemen.
    Die halten nicht mehr lange durch, dachte Youwei, als er die Schriftrolle in eine Ledertasche packte und aufstand. Ich werde bald neue kaufen müssen.
    Nicht, dass er dabei Probleme erwartete, denn die Gegend hier an der äußersten Grenze des Shu-Reiches war die ärmste, die er je gesehen hatte. Die Dörfer, durch die er reiste, bestanden häufig aus nicht mehr als Erdlöchern, in denen sich halb verhungerte Familien drängten, während der Wind Staubfahnen über ihre verdorrten Felder trieb. Eltern hielten dem vorbeiziehenden Tross ihre Kinder entgegen und bettelten darum, sie verkaufen zu dürfen. Erwachsene Männer warfen sich in den Dreck und boten ihre Dienste als Leibeigene an. Selbst die Fürsten und Großgrundbesitzer, von denen die Bauern bis auf den letzten Reissack ausgepresst wurden, klagten über die Armut, die ihnen standesgemäßes Reisen und Wohnen verwehrte.
    »Im Westen«, hatte einer von ihnen gesagt, »ist das Land fruchtbar und grün. Es soll wie ein Paradies sein.«
    »Warum geht Ihr dann nicht nach Westen?«, war Youweis Entgegnung gewesen.
    »Weil dort nur die Toten glücklich sind.«
    Er ahnte, was der Fürst damit gemeint hatte. Die Legenden über die verlorene Provinz waren bis nach Wuchang vorgedrungen, auch wenn gebildete Männer wie Wang Youwei sie für den dummen Aberglauben rückständiger Bauern hielten. Auf den Karten bestand das Gebiet rund um den Oberlauf des Jiangzi nur aus einem weißen Fleck, was man jedoch allgemein darauf zurückführte, dass es einfach zu unzugänglich war, um bereist zu werden. Dass die Bauern es deswegen sofort mit Ungeheuern bevölkerten, war für Youwei die typische Reaktion einer dummen Landbevölkerung.
    »Herr«, riss eine Stimme ihn aus seinen Gedanken. »Wir sind bereit zur Abreise.«
    Youwei nickte Li, dem Hauptmann der Leibgarde, kurz zu. Seit Beginn der Expedition hatten sie nur wenige Worte miteinander gewechselt, aber er wusste, dass Li jeden Tag unter seiner Schande litt. Nur weil sein Herr sich im Weinrausch zu einer albernen Entgleisung hatte hinreißen lassen -
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