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0714 - Die Totenfrau ist da

0714 - Die Totenfrau ist da

Titel: 0714 - Die Totenfrau ist da
Autoren: Jason Dark
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Die wird froh sein, daß sie ihn losgeworden ist.«
    »Warum denn das?«
    »Bitte, Harriet«, flüsterte jemand. »Du kannst diesen Gentleman doch nicht mit deinen Vermutungen quälen. Das würde ich nicht tun, wirklich nicht. Laß es lieber sein.«
    »Ja, ich weiß, aber…«
    »Was ist denn mit der Witwe?«
    »Nichts, Mister, gar nichts. Aber schlecht wird es ihr nicht gehen, das können Sie mir glauben.«
    Ich hatte Zeit genug gehabt, mir die Sprecherin anzuschauen. Sie war eine Person, wie man sie überall in den Straßen oder kleinen Orten fand. Die wandelnde Zeitung auf zwei Beinen. Die Klatschbase vom Dienst, die an keinem Menschen ein gutes Haar ließ. Ihr Gesicht war blaß, unter den Augen lagen Ringe, das graue Haar hatte sie zurückgekämmt und im Nacken mit dunklen Klammern zusammengesteckt. Sie trug einen Topfhut, hatte ein spitzes Kinn und funkelnde Augen.
    Eine Schlange auf zwei Beinen. Ich lächelte sie trotzdem nett an. »Wenn Sie das sagen, muß das wohl stimmen. Ich bin nur ein Fremder, ein ehemaliger Schüler des Verstorbenen und muß sagen, daß er ein sehr gerechter und netter Mensch gewesen ist.«
    »Das kann man wohl sagen. Leider trifft es immer zuerst die Besten.«
    Ich wollte noch weiterfragen, aber die Frau hatte sich entschlossen, mir nichts mehr zu sagen, das sah ich ihrem Gesicht an, wo sie die Lippen hart zusammengepreßt hatte.
    »Ich heiße übrigens John Sinclair, Madam.«
    »Harriet Slade ist mein Name.«
    »Wir werden uns sicherlich nach dem Begräbnis noch sehen, Mrs. Slade, denke ich.«
    »Miß Slade - bitte.«
    »Pardon, das wußte ich nicht.« Ich nickte ihr lächelnd zu und machte mich auf den Weg zum Grab, denn mich interessierte jetzt die Witwe meines Professors.
    Die Reden waren gehalten worden. Die Menschen würden nun an das Grab treten, der Hinterbliebenen kondolieren und Erde oder Blumen auf den Sarg werfen.
    Hyram Scott war in seiner Ehe kinderlos geblieben. Ich konnte auch keinen anderen Verwandten ausmachen. Obwohl sie von Menschen umringt war, stand sie doch ziemlich allein.
    Bisher sah ich von ihr nur den Rücken. Auch sie trug einen dunklen Hut, ein schwarzes Kostüm, aber ich sah ihr blondes Haar, das unter dem Hutrand hervorschaute und wie eine gewaltige Welle wirkte, die bis auf den Kragen der Jacke fiel.
    Sie war ziemlich groß und besaß noch einen straffen Körper. Ich kannte Hyram Scott ja und wußte, daß er zu den kleineren Menschen gehört hatte, sie mußte ihn überragt haben.
    Sie war bereit, um die Mitleidsbekundungen entgegenzunehmen und drehte sich zur Seite, so daß ich ihr Profil erkennen konnte, auch wenn es sich nicht allzu deutlich unter ihrem Schleier abzeichnete.
    Ja, sie war jünger, und ihr Gesicht wirkte wie ein weißgelber Fleck. Mehr erkannte ich nicht.
    Ich reihte mich in die Schlange der Kondolierenden ein, wurde von einigen Leuten erkannt, die mir zunickten, und aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie sich die Klatschbasen zurückzogen.
    Natürlich war hier nicht der richtige Ort, um über vergangene Zeiten zu sprechen, doch einige Männer unterhielten sich darüber. Alle aber waren sich einig, daß Hyram Scott zu früh gestorben war.
    Der Meinung schloß ich mich an, ließ noch ein paar Männer vor, so daß ich der letzte in der Reihe war.
    Ich hatte erfahren, daß man sich noch in einem Gasthaus treffen wollte und mir den Namen eingeprägt.
    Immer näher kam ich an die Witwe heran, die jedem die Hand gab und sogar einige Worte sprach.
    Die Sätze wurden nicht durch heftiges Schluchzen unterbrochen, sie nahm den Tod ihres Mannes sehr gefaßt auf.
    Endlich war ich an der Reihe.
    Wir schauten uns an.
    Ich hatte das Gefühl, als wäre die Zeit stehengeblieben. Unter dem Schleier sah ich das Gesicht, jetzt besser erkennbar. Ich schätzte sie auf vierzig Jahre. Blaue Augen, eine gerade Nase, dazu ein weicher Mund, eine hohe Stirn. Irgendwie erinnerte mich die Frau an ein älter gewordenes Mannequin.
    Unsere Hände lagen ineinander. Ich spürte ihre Kühle, ich die meine. Wir sprachen nicht, aber ich hatte das Gefühl, als würden wir uns kennen, obwohl mir diese Frau tatsächlich unbekannt war.
    Bevor ich meinen Namen aussprechen konnte, kam sie mir zuvor.
    »John Sinclair, nicht?«
    »Ja, Madam.«
    »Ich wußte, daß sie kommen würden.«
    »Es war für mich selbstverständlich.«
    »Mein Mann hat viel über Sie gesprochen. Sie waren für ihn immer etwas Besonderes, und er war auch stolz auf sie. Er hat, sofern möglich, ihren
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