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0621 - Die Vergessene von Avalon

0621 - Die Vergessene von Avalon

Titel: 0621 - Die Vergessene von Avalon
Autoren: Jason Dark
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freuten und ihre Kreise über den Wogen zogen. Ein Wintertag, der fast begann wie einer im Frühling.
    Das Wunder war vollkommen, denn Melusine genoß es jedesmal, den Tag aufblühen zu lassen. Dann holte sie Sturmwind aus der Box, schwang sich auf den breiten Rücken des Tieres und ritt mit ihm aus.
    Ihr Haus lag erhöht, so weit oben, daß es auch von mächtigen Sturmwellen nicht erreicht werden konnte. In der vergangenen Nacht hatte Melu im Bett gelegen und der wilden Natur gelauscht, denn über die Küste hinweg war ein gewaltiger Orkan gebraust.
    Da hatten die Fensterläden geklappert, da waren die Bäume und Sträucher zu Spielbällen geworden und hatten mit ihren Zweigen und Ästen über die Hauswände und die Scheiben der Fenster gekratzt.
    In solchen Nächten schliefen nur die wenigsten Menschen. Die meisten Bewohner des Küstenstreifens lagen wach in den Betten. Sie lauschten den mannigfaltigen Geräuschen des Sturms: dem scharfen Heulen, dem rauschenden Brausen und dem hohlen Pfeifen.
    Der Tag war anders. Da ritt Melu durch die Frische. Zwar wehte der Wind ihr langes, schwarzes Haar hoch, aber im Vergleich zur Nacht war der Wind sanft wie ein Lamm.
    Melu lauschte dem Klopfen der Pferdehufe. Sie saß wie angeschmiegt im Sattel. Ihr Gesicht zeigte die jugendliche Natürlichkeit, Schminke hatte sie nicht nötig. Mit ihren dreiundzwanzig Jahren fühlte sie sich jung genug, um darauf verzichten zu können.
    Herrlich lange Beine besaß sie. Die Reiterstiefel reichten ihr bis zu den Knien, der dicke Pullover war nötig und auch die gefütterte Windjacke brauchte sie.
    Ein Spiegel hätte folgendes Bild von ihr wiedergegeben: Die kleine gerade Nase, ein schön geschwungener Mund, sanfte Augenbrauen und rote Wangen, auf denen sich einige Sommersprossen verteilten.
    Bis auf die Augen…
    Die dunkle Brille steckte in der Tasche. Melu hatte sie nicht aufgesetzt, obgleich sie die Gläser öfter trug, aber nicht, um ihre Augen gegen das Sonnenlicht zu schützen, der Grund war ein anderer.
    Melusine de Lacre war blind!
    Ein blindes Mädchen, das sein Schicksal mit einer schon bewundernswerten Gelassenheit ertrug, denn wer sie nicht kannte, hätte ihr kaum angemerkt, daß sie blind war. Sie bewegte sich nicht nur sicher in ihrem Haus, sie saß auch auf dem Pferderücken, als wäre sie mit dem Tier verwachsen.
    Das Tier führte sie sicher. Es kannte hier jeden Fußbreit Boden.
    Auch den Weg vom Haus zum Strand – er war ziemlich steil – fand es trittsicher. Sturmwind war für Melu ein verläßlicher Freund, und das junge Mädchen, das allein im Haus an der Küste wohnte, liebte das Pferd wie einen Ehemann.
    Sie war im Galopp geritten, hatte Sturmwind gefordert und sich an dessen Wiehern erfreut, das sie immer wieder ermuntert hatte, weiterzureiten.
    Rechts von ihr lag das Meer. Sie hörte die Wellen, wenn sie am Strand ausliefen oder weiter vorn gegen die Felsen geschleudert wurden. Melu wußte genau, wo sie sich befand, denn sie orientierte sich an den Geräuschen. Ihre Ohren ersetzten ihr die Augen, was ziemlich gut klappte.
    Es war nicht so, daß sie überhaupt nichts sehen konnte. Von einer ewigen Nacht sprach man des öfteren bei Blinden. Melu sah immer hinein in eine graue Welt, als wäre diese ständig von dünnen Nebelstreifen erfüllt, die sie nicht durchdringen konnte.
    Hin und wieder hatte sie gehofft, Konturen ausmachen zu können, es waren Täuschungen gewesen. Die grauen Schatten blieben einfach, sie konnte daran nichts ändern.
    Und so ritt sie weiter in den Morgen hinein, voll innerlicher Freude, aber auch voller Gedanken. Melu gehörte zu den sensiblen Menschen. Dabei wußte sie nicht einmal, ob der Grund dafür in ihrer Kindheit zu suchen war, er kam ihr eher vor wie angeboren. Bei dem Begriff Geburt stockten ihre Gedanken.
    Sie dachte an die Worte ihrer Eltern, die ihr einmal erklärt hatten, daß sie nicht von hier wäre.
    Zuerst hatte sie nicht weiter darüber nachgedacht, später dann nachgefragt und ebenfalls eine sehr befremdlich klingende Antwort bekommen. Man hatte ihr erklärt, daß sie aus einem anderen Land stammen würde, und daß ihre Behinderung nicht endgültig wäre.
    Nicht endgültig!
    Diese Diagnose bestimmte ihr Leben und war zu einer regelrechten Triebfeder für sie geworden. Wenn etwas nicht endgültig war, mußte es einen Weg geben, dies zu ändern.
    Melu forschte weiter, kam aber nicht weiter, weil ihre Eltern leider starben. Schon seit fast zwei Jahren lebte sie allein in ihrem
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