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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht
Autoren: Karl May
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Verweise und einem tüchtigen Ärger davonkommen zu lassen. Darum habe ich gewartet, bis die Motette gedruckt worden ist. Hätten Sie die Anzeige gewollt, so wäre sie erfolgt; nun aber soll er noch einen kräftigen Rüffel unter vier Augen bekommen und dabei erfahren, daß er die übrige Straflosigkeit nur Ihrer Fürbitte verdankt. Er wird sich blau und schwarz darüber ärgern, daß die Motette im Druck erschienen ist, daß sie Ihnen Geld eingebracht hat und daß er sie nun sogar mitsingen muß.“
    „Soll er das?“
    „Ja; anders tue ich es nicht; er hat eine gute Stimme und soll sogar, grad zu seinem Ärger, ein Solo bekommen, nämlich, wissen Sie, den dreistimmigen Solosatz in As-dur mit dem Texte: ‚Drum gehet hin nach Bethlehem; da werdet Ihr finden das Jesuskind in einer Krippe liegen.‘ Das war der erste Punkt, über den ich mich um Ihretwillen freue. Der andere Punkt bezieht sich auf Ihre Einsicht, daß ich Ihre Komposition ohne den angegebenen Grund wohl keinem Verleger angeboten hätte.“
    „Natürlich! Eine Schülerarbeit, mit vielen Unterlassungsfehlern, weiter nichts!“
    „Richtig, sehr richtig! Das Wort Unterlassungsfehler ist gut gewählt und bezeichnet genau das, was ich sagen will. Da Sie die Musik nicht als Fachstudium treiben wollen, werden Sie zwar soviel komponieren lernen, wie man, um mich eines Volksausdruckes zu bedienen, für Haus und Küche braucht, mehr nicht; das genügt aber auch für Sie. Aber auch nur so weit sind Sie jetzt noch lange nicht. Sie haben zwar mit dieser Motette aus Zufall einen Treffer gemacht, aber ob Sie jemals wieder einen solchen machen werden, das läßt sich jetzt nicht sagen, denn Sie haben noch viel, sehr viel zu üben und zu lernen. Ich meine, daß Ihnen ernste, fromme Themata am besten glücken werden; das liegt überhaupt auch so in Ihrem ganzen Wesen. Direkte Fehler, sogenannte Begehungssünden, kommen in Ihrer Motette nicht vor, sie ist da sauber geschrieben. Aber die Übung fehlt, die Gewandtheit, die Inspiration. Denken Sie sich einen guten Sonntagsreiter und dann einen Schulreiter im Zirkus! Der Sonntagsreiter in der Komposition sind Sie; es fehlt Ihnen die hohe Schule; Sie kennen Ihr Pferd nicht und auch nicht die verschiedenen Hilfen, die Sie ihm geben müssen. So etwas will nicht nur angeboten, sondern auch gepflegt und geübt sein. Ein geübter Reiter der hohen Schule würde Ihre Motette ganz anders ein- und zugeritten haben. Verstehen Sie mich?“
    „Ja, Herr Kantor. Ich sitze zu steif im Sattel und habe zwar körperliche aber nicht auch geistige Fühlung mit dem Pferde.“
    „So ist es; ja, so ist es ganz genau! Darum habe ich, wie Sie später wohl merken werden, einigen Ihrer steifen Figuren mehr Gewandtheit verliehen. Sie werden mir das, wenn Sie die Motette erst singen hören, nicht übelnehmen, zumal ich Ihnen von Ihren fünfundzwanzig Talern nicht einen einzigen dafür in Abzug bringe.“
    Der liebe, alte Herr sagte das mit seinem hübschen, herzgewinnenden Lächeln; dann fügte er hinzu, indem er mir die Hand zum Abschiede reichte:
    „Ich würde Ihnen, dem armen Teufel, den Unterricht gern umsonst erteilen, aber Sie wissen ja, daß ich das bei meinen Gehaltsverhältnissen nicht kann. Sie werden das überstehen und vielleicht einst wohlhabender werden, als ich bin. Denken Sie dann an Ihren alten Kantor, der Ihrer ersten Motette auf die Beine geholfen hat. Nehmen Sie das Leben auch fernerhin so ernst wie jetzt, und nun für heut, leben Sie wohl!“
    Dieser brave Kantor, der mir stets mit gleichen Wohlwollen entgegenkam, gehört zu denjenigen Personen, denen ich noch jetzt, nach langen Jahren, eine unverminderte Dankbarkeit widme. Man wird später erkennen, warum ich diese freundliche Szene von ihm erzählt und dabei keinen Namen genannt habe. Er war ein Ehren- und humaner Mann, verlegte aber seine Welt nur in das kleine Notenzimmer, weil er auf Familienglück hatte verzichten müssen. Man kannte seine Frau als arge Xantippe, die, wie man sich erzählte, den einzigen Sohn, den sie besaßen, durch ihre Härte nach Amerika getrieben hatte.
    Ich war also im Besitze von fünfundfünfzig Talern; damals welch ein großartiger Reichtum für mich! Es war mir zuviel; ich war ja gesund und konnte arbeiten. Dreißig schickte ich meinen armen Eltern; zwanzig legte ich für unvorhergesehene Bedürfnisse zurück, und fünf bestimmte ich zu einer Weihnachtsreise, auf welcher ich mich ausnahmsweise einmal recht splendid behandeln wollte. Fünf harte
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