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06 - Ein echter Snob

06 - Ein echter Snob

Titel: 06 - Ein echter Snob
Autoren: Marion Chesney
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senkte er den Blick mit einem
resignierten kleinen Seufzer und sagte zu Jenny: »Wollen Sie mir die Ehre
erweisen, Miss?«
    Jenny nickte, ohne zu überlegen. Es
machte sie wütend, erst in zweiter Linie in Betracht zu kommen, aber dann
tröstete sie sich mit dem Gedanken, dass die beiden Herren wohl nur wegen des
hohen Alters ihrer Tante so überaus galant gewesen waren.
    Sie hatten kaum Gelegenheit, sich zu
unterhalten — es war ein Country-Tanz —, aber Jenny erwartete auch sonst von ihren
Partnern nicht viel mehr, als dass sie sie schmachtend anblickten.
    Als sie schließlich neben dem Herzog
am Tisch Platz genommen hatte, um zu Abend zu essen, wurde ihr allerdings
klar, dass die Augen, die in die ihren blickten, nicht Bewunderung, sondern
Langeweile ausdrückten.
    »Wer ist die elegante Dame da
drüben?« fragte der Herzog und deutete mit seinem goldenen Monokel in Lady
Letitias Richtung.
    »Das ist meine Tante, Euer Gnaden.«
    »Hat sie auch einen Namen?« fragte
er mit einer Andeutung von Ärger in der Stimme.
    »Ja, Euer Gnaden. Lady Letitia
Colville.«
    »Ah, die Tochter des verstorbenen
Earl of Mallock.«
    »Ja, Euer Gnaden. Meine Tante war die
Schwester meiner verstorbenen Mutter.«
    »Und Sie sind ...?«
    »Miss Jenny Sutherland, Euer
Gnaden.«
    »Woher kennen Sie meinen Titel?«
    »Die Leute haben ihn vorhin einander
zugeflüstert«, sagte Jenny.
    Er widmete sich den Speisen. Jenny
war sich der Gegenwart des herzoglichen Dieners, der hinter dem Stuhl seines
Herrn bereitstand, unbehaglich bewußt. Sie schaute zu ihrer Tante hinüber. Was
immer es war, das Lady Letitia gerade zu Lord Paul gesagt hatte, es amüsierte
ihn jedenfalls ganz außerordentlich. Jenny sah, dass ihre Freundinnen sie
heimlich beobachteten, und es wurde ihr klar, dass dieser Herzog es jedermann
zeigen wollte, dass er die Speisen auf seinem Teller wesentlich interessanter
fand als seine Tischdame.
    »Wenn Sie kein Captain sind«, sagte
Jenny, »dann sind Sie auch nicht im Krieg gewesen.«
    »Im Gegenteil, ich bin gerade erst
zurückgekehrt.«
    »Wie geht es unseren Truppen?«
fragte Jenny, die sich nicht im geringsten für den Krieg interessierte, aber
ihren Freundinnen den Eindruck vermitteln wollte, dass der Herzog von ihr hingerissen
sei.
    Er begann zu erzählen. Jenny schaute
an ihrem Kleid hinunter, um sich zu vergewissern, dass die Falten tadellos
fielen. Sie wünschte, sie könnte ihren Spiegel herausziehen und sich davon
überzeugen, dass sie so schön wie immer aussah.
    »Es tut mir leid, feststellen zu
müssen, dass Sie meinen Bericht langweilig finden.« Der barsche Tonfall des
Herzogs drang in ihre Gedanken.
    »Ich finde ihn faszinierend, Sir«,
sagte Jenny, und das Blut stieg ihr ins Gesicht.
    »Warum haben Sie dann«, fragte der
Herzog scheinbar gleichmütig, »an Ihrem Kleid herumgezupft und Ihre Handschuhe
glattgestrichen, während ich erzählte?«
    Die Erklärung war, dass Jenny sich
noch nie hatte bemühen müssen, anders als einfach nur schön zu sein. »Ich versichere
Ihnen, Sir«, sagte sie scharf, »dass ich jedem Wort aufmerksam gelauscht
habe.«
    »Was halten Sie dann von der
Geschichte, wo Wellington vom Pferd fiel?«
    »Ungeheuer interessant.«
    »Ich habe Ihnen eine solche
Geschichte aber nicht erzählt«, sagte der Herzog.
    »Wirklich«, meinte Jenny und wedelte
heftig mit ihrem Fächer, »Sie sind entschlossen, mich um keinen Preis zu
mögen.«
    »Keineswegs. Aber was ich nicht mag,
ist Unhöflichkeit, und Sie sind unhöflich. Sie könnten Ihrem Tischherrn die
Höflichkeit erweisen, ihm zuzuhören.«
    Jenny klapperte mit ihren langen
Augenwimpern und kokettierte mit dem Fächer, zwei Kunstgriffe, die — das wußte
sie aus Erfahrung — ihre Wirkung auf einen Mann mit Herz noch nie verfehlt
hatten.
    Der Herzog warf ihr einen finsteren
Blick zu und goss sich ein Glas Wein ein. Die beiden musterten einander höchst
ärgerlich. Sie waren ein vollkommen ebenbürtiges Paar. Der Herzog war es
gewohnt, dass ihm die Leute wegen seines Titels jeden Wunsch von den Augen
ablasen, und Jenny war ebenfalls an sklavische Ergebenheit gewöhnt.
    »Ihr Problem liegt darin, Miss«,
sagte der Herzog, und seine Augen wanderten dabei die lange Tafel hinab, »dass
Sie sich in diesem kleinen Provinznest als Königin fühlen. Eine Saison in
London würde Sie schnell auf Ihren Platz verweisen.«
    »Und was wäre das für ein Platz,
Euer Gnaden?«
    »Nun, der einer kleinen
Unbekannten.«
    »Sie sind der ungezogenste Mann, dem
ich je
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