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0529 - Der Würgeadler

0529 - Der Würgeadler

Titel: 0529 - Der Würgeadler
Autoren: Jason Dark
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glitzerten.
    Jacques Grenier hatte die Hände in die Taschen seiner Jacke gestopft. Er trug dicke Schuhe mit starkem Sohlenprofil, so daß er auf der glatten Fläche einigermaßen Halt bekam.
    Bei normaler Witterung war es ein kurzer Weg bis zum Ortsende.
    Was war in diesem Spätwinter schon normal?
    Er konnte kaum über die Schneewände hinwegschauen. Manchmal sah er ein Hausdach, beladen mit Schnee. Besser zu erkennen waren die dünnen, grauen Rauchfahnen, die aus den Schornsteinen quollen und allmählich im Winterhimmel zerfaserten.
    Der harte Schnee knirschte unter seinen Füßen, Jacques konnte das Geräusch schon nicht mehr hören, doch er wußte aus Erfahrung, daß es noch Wochen dauern würde, bis der Schnee weggetaut war und die Menschen wieder ihrem normalen Tagwerk nachgehen konnten.
    Zwei dickvermummte Freunde begegneten ihm. Sie begrüßten sich mit Kopfnicken. Zu einem Schwätzchen, wie sonst, fand sich keiner bereit, es war einfach zu kalt.
    Hin und wieder waren regelrechte Gräben in die Schneewände geschlagen worden. Sie mündeten in schmale Wege, die dann zu den Häusern führten.
    Die großen Gemeinschaftsställe lagen etwas abseits. Es gab insgesamt drei von ihnen. Mit ihren flachen, jetzt schneebedeckten Dächern erinnerten sie an Baracken.
    Aus den Ställen schallte das Muhen der Tiere. Auch sie litten unter dem Winter. Ihnen fehlte einfach die Bewegungsfreiheit. Sie standen an den Trögen, waren angebunden, fraßen, verdauten und bekamen kaum frische Luft.
    Wie aus dem Nichts erschienen die Schatten. Jacques Grenier, in Gedanken versunken, hörte das Flattern der Flügel, das heisere Krächzen, und dann waren sie über ihm.
    Große Vögel, Raben und Elstern, mit aufgeplustertem Gefieder.
    Tiere, die normalerweise friedlich waren und sich nun völlig anders benahmen.
    Sie griffen an!
    Der ältere Mann hörte das wilde Flattern überlaut. Es umtoste seinen Kopf. Er hatte die Arme hochgerissen, um sein Gesicht zu schützen, denn die Vögel schlugen zu, wild und aggressiv. Sie hackten in den dicken Stoff der Kleidung, versuchten aber, das Gesicht zu treffen, das durch die hochgereckten Arme des Mannes geschützt war.
    Er wehrte sich, drosch nach den Vögeln. Die Handschuhe schützten ihn vor Schnabelhieben. Zwei Vögel wuchtete er förmlich hinein in den Schnee, wo sie wütend krächzten, sich wieder in die Luft erhoben und wegflogen. Es schienen die Anführer des Vogelschwarms gewesen zu sein, denn auch die anderen Tiere verschwanden.
    Wie Pfeile schossen sie davon, der Sonne entgegen.
    Jacques Grenier starrte ihnen nach, bis sie verschwunden waren.
    Tief holte er Luft. Schwindel hatte ihn überkommen. Er ging mit wackligen Knien zurück und lehnte sich gegen die rechte der beiden Eiswände an der Schneestraße.
    Der Atem bildete Nebelwolken vor seinem Mund, die stoßweise über die Lippen drangen. Erst jetzt kam er dazu, über den Vorfall nachzudenken, den er sich nicht erklären konnte.
    Wieso hatten ihn die Vögel attackiert?
    Gut, es gab sehr strenge Winter, wo selbst scheue Raubtiere wie Wölfe in die Dörfer der Menschen einfielen und sich dort Nahrung besorgten, aber nicht hier in den französischen Alpen, dicht an der Schweizer Grenze.
    Selbst im Hochgebirge trieben sich keine Wölfe mehr herum. Das mochte früher mal so gewesen sein.
    Dafür spielten die Vögel verrückt. Waren sie tatsächlich nur auf der Suche nach Nahrung gewesen?
    Jacques schaute wieder in den Himmel. Der Dunst lag zwischen der Erde und dem Firmament wie ein leichter Vorhang, der alles verschluckt hatte. Auch die angriffswütigen Krähen oder Raben, die Jacques ein Andenken hinterlassen hatten. Eine Wunde am Kopf. Ein Schnabel hatte ihn erwischt.
    Der leise Fluch kam von Herzen. Jacques überlegte, ob er zurückgehen und seine Familie benachrichtigen sollte. Er entschied sich dagegen. Die Menschen konnten warten, die Tiere nicht. Also legte er die letzten Meter bis zum Stall zurück.
    Die alte Holztür, aus schiefen Bohlen zusammengehämmert, stand einen Spalt offen. Durch ihn drang nicht nur das Muhen der Tiere, auch eine feuchte und warme Luft, verbunden mit einem Geruch, den man nicht gerade als Parfümwolke bezeichnen konnte.
    Vor der Tür lag kein Schnee. Die Wärme hatte ihn getaut. Der Boden war naß. In den kleinen Pfützen schwammen Strohhalme.
    Grenier mußte sich anstrengen, um die Tür so weit aufzuschieben, daß er sich hineinzwängen konnte. Die als Stolperstein angelegte Stufe überwand er mit einem
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