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0495 - Die Schlucht der Echsen

0495 - Die Schlucht der Echsen

Titel: 0495 - Die Schlucht der Echsen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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gelassen. »Hier, Ihre Dienstwaffe. Und jetzt sollten wir zusehen, daß wir das Hospital ganz schnell wieder verlassen.«
    Draußen stand der Dienstwagen, mit dem Raffael Re gekommen war. Draußen standen aber auch Reporter, die beim Anblick von Uniformen sofort Informationen einforderten. Weder Re noch seine Kollegin ließen sich darauf ein, sondern jagten mit dem dunkelblauen Lancia davon.
    Beide hatten sie den gleichen Dienstrang, weil Gabriella sich mit ihrem Durchsetzungsvermögen und ihrem oftmals recht unkonventionellen Verhalten schnell die Karriereleiter hinaufgeboxt hatte. Und das, obgleich sie eine der ganz wenigen Frauen im Polizeidienst der italienischen Republik war. Offiziell aber war Re ihr übergeordnet. Er plante Einsätze, er traf Entscheidungen, er setzte seine carabinieri so optimal wie möglich ein. Gabriella Pacoso dagegen war lieber vor Ort, und das hätte sie heute fast das Leben gekostet.
    »Ich muß mir diese Stelle noch einmal ansehen«, verlangte sie und dachte an die Menschen mit Reptilköpfen, die Tonio gesehen haben wollte. »Geht das?«
    Es ging, aber nur per Hubschrauber. Das kleine Dorf zwanzig Kilometer vor den Toren Roms war für jeglichen Personenverkehr gesperrt worden. Die vielbefahrene Durchgangsstraße mußte von einer weiträumigen Umleitung ersetzt werden. Bergungsarbeiten fanden nicht statt.
    »Noch nicht«, sagte Re, als sie im Hubschrauber über dem Chaos kreisten. »Es muß erst wieder wärmer werden. Da unten hält es keiner lange aus, und mal ganz abgesehen davon: wer es nicht wie Sie schnell genug geschafft hat, aus dieser Eishölle zu entkommen, der ist längst tot. Steifgefroren für alle Zeiten. Bei Temperaturen von mehr als zweihundert Grad Frost dürfte nichts mehr zu machen sein.«
    Gabriella glaubte, sich verhört zu haben. » Wieviel, Raffael? Zweihundert Grad Frost?«
    »Das haben die letzten Messungen an den Außenrändern des Eisklotzes vor einer halben Stunde ergeben«, behauptete Re. »Zu dem Zeitpunkt, als die Katastrophe hereinbrach, muß die Temperatur schockartig noch viel tiefer gestürzt sein. Bis dieser Kälte-Herd sich wieder erwärmt, können Tage, wenn nicht sogar Wochen vergehen. Einen ganzen Tag haben Sie immerhin selbst in Bewußtlosigkeit gelegen, und in diesen 24 Stunden haben sich die Temperaturwerte nur um ein Dutzend Grad Celsius aufwärts bewegt.«
    Das war der nächste Schock, der Gabriella unvorbereitet traf. »Was? Dann haben wir schon morgen?« Im Krankenhaus hatte sie nicht auf den Kalender und auf die Datumsangabe des Entlassungsscheins geachtet, und die Datumsanzeige ihrer Armbanduhr hatte sie bisher auch noch nicht zu Rate gezogen.
    Immer noch kreiste der Hubschrauber über der Eishölle, die einmal ein kleines Dorf gewesen war. Immer noch waren weite Bereiche der Umgebung von weißen Reiffeldern überzogen. Als grauweißer Fleck in der Nähe des titanischen Eisbrockens stand ein Polizei-Lancia mit offener Tür vor einer Gartenmauer. Gabriella schluckte.
    »Ohne diese Schockfrostung hätte die Flutwelle Sie erwischt und zerschmettert«, sagte Raffael. »Die Wassermassen müssen innerhalb von Sekunden vollständig eingefroren sein.«
    »Aber wie ist so etwas möglich?« fragte Gabriella ratlos. »Und vor allem: woher sind diese Massen gekommen! Wo sind Straßen und Häuser geblieben, und die Menschen, die ich vor mir gesehen habe? Plötzlich waren sie fort, und das andere - das da -tauchte auf. Dann kam die Kälte…«
    »Wir wissen es nicht«, sagte Re. »Es sind Wissenschaftler darauf angesetzt worden, aber mit einer Erklärung können die natürlich nicht so schnell aufwarten, weil so etwas einfach nicht in ihr festgefügtes physikalisches Weltbild paßt.«
    Wieder mußte Gabriella an die Menschen mit den Reptilköpfen denken, von denen Tonio geredet hatte. Eine Gedankenkette baute sich in ihr auf: Kälte, Eis - Eiszeit - Saurier. Aber sie wagte es einfach nicht, weiter zu denken, weil diese Vorstellung viel zu fantastisch war. Und sie war eine Realistin, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen stand.
    Tonio mußte halluziniert haben, als er diese Echsenmenschen gesehen haben wollte. Gabriella konnte jedenfalls in der Eiswüste nichts von ihnen entdecken.
    »Die Menschen«, sagte sie leise.
    »Was ist mit den Menschen, die hier gewohnt haben? Sind sie wirklich alle…?«
    Re nickte düster. »Nur ein paar haben sich noch retten können, als der Kälteschock kam«, sagte er. »Es ist alles viel zu schnell
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