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0472 - Sie war nur ein 5-Dollar-Girl

0472 - Sie war nur ein 5-Dollar-Girl

Titel: 0472 - Sie war nur ein 5-Dollar-Girl
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tadellose Figur und leidlich gut geschnittene Gesichtszüge. Die Nase war etwas zu klein und stupsig geraten, und in den graugrünen Augen schimmerte es eher kalt als lustig, aber alles in allem wirkte sich die nähere Betrachtung für sie als Gewinn aus. Ihr Fehler war, daß sie zuviel Makeup aufgelegt hatte. Ohne Zweifel hatten auch ihre moralischen Ansichten erhebliche Schwächen, aber darum ging es für mich jetzt nicht. Es war vielleicht recht nützlich, das Mädchen kennenzulernen. Wenn ich hier als ein Mann auftrat, der das erstbeste Flittchen akzeptierte, würde das meinem Ruf zweifellos dienlich sein, zumindest dem Ruf, der einem Joe Naddish angemessen war.
    »Whisky ist meine drittgrößte Leidenschaft«, informierte ich das Mädchen. Sie war übrigens blond und nicht viel älter als fünfundzwanzig Jahre.
    »Welches ist die zweitgrößte?« wollte sie wissen.
    »Mädchen«, sagte ich grinsend.
    »Und die größte?«
    »Darüber sprechen wir später.«
    »Ich heiße Lo«, sagte sie. »Lo Cockers.«
    »Naddish«, stellte ich mich vor. »Sie können Joe zu mir sagen.«
    Wir gingen nach oben. Sie hatte das Zimmer Nr. 9. Im Haus war es totenstill. Das wunderte mich. Wie kam es, daß sich nicht ein einziger Hotelgast über den Krach beschwerte, der durch Lo und ihren zahlungsunfähigen Kavalier verursacht worden war? Ich fragte Lo danach.
    »Wer hier pennt, ist an Krach gewöhnt«, meinte sie lakonisch und spülte zwei Zahnputzbecher aus, die sie von der Spiegelkonsole nahm. »Wenn hier nachts mal alles ruhig bleibt, muß ich den Kopf aus dem Fenster stecken und mich davon überzeugen, ob nicht plötzlich die Pest über die Stadt gekommen ist. In diesem Saftladen ist immer was los.«
    »Wohnen Sie schon lange hier?«
    »Vier Wochen«, erwiderte sie und brachte die Gläser zu dem kleinen runden Tisch, dessen Standfestigkeit durch unter die Beine geschobene Bierdeckel erhöht worden war. »Das sind, genau besehen, vier Wochen zuviel.« Sie lächelte mich an. »Aber vielleicht sollte es so sein. Vielleicht war es gut so. Jetzt haben wir uns ja getroffen, nicht wahr? Sie gefallen mir, Joe.«
    Ich grinste zurück, obwohl mir ihre Worte keineswegs gefielen. Gefühl ist eine feine Sache, aber die Sache hat einen Haken, wenn eine Lo Cockers in Hartleys Hotel noch vor dem ersten Whisky damit hausieren geht.
    »Woher kommen Sie?« erkundigte sie sich.
    »Frisko«, sagte ich.
    »Da haben Sie eine weite Reise hinter sich. Geflogen?«
    »Ich hasse Flugzeuge«, sagte ich.
    »Ich auch. Ich hab’ noch nie in einem gesessen. Machen Sie bitte die Flache auf, Joe. Ich besorge inzwischen etwas Eis.«
    Sie ging hinaus. Ich riß den Verschluß ab. Von der Whiskymarke hatte ich noch nie etwas gehört. Als ich an der Flasche roch, kannte ich den Grund. Billiger Fusel dieser Art hat es schwer, sich durchzusetzen. Dann sah ich mich in dem Zimmer um. Auf dem Kleiderschrank waren zwei Koffer gestapelt. Auf dem Kopfkissen des Doppelbettes lag eine Puppe von der Art, wie sie an Schießbuden zu gewinnen sind. Das Zimmer war nicht groß. Es war sauberer, als ich erwartet hatte, aber die alte, ehemals violette Tapete sorgte für eine deprimierende Atmosphäre von Alter, Armut und Hoffnungslosigkeit.
    Ich faßte plötzlich den Entschluß, mir mein Zimmer anzusehen, und ging hinaus. Nr. 13 war nicht abgeschlossen. Ich trat ein und entdeckte einen schmalen, muffig riethenden Raum mit einer gleichen vergilbten Tapete in mattem Violett. Das Fenster war nur angelehnt. Ich stieß es auf und blickte hinaus. Es regnete noch immer. Die Feuerleiter führte unmittelbar am Fenster vorbei. Ich wußte nicht, ob ich diese Tatsache begrüßen oder verfluchen sollte. Ich schloß das Fenster und öffnete den Kleiderschrank, um meinen nassen Mantel aufzuhängen. Der Schrank war mit alten Zeitungen ausgelegt. Auf einer Stange baumelten ein paar verbogene Drahtbügel. Als ich den Mantel abstreifte, fiel mein Blick auf den Titel eines Fortsetzungsromans.
    Der Tod im Hotel!
    Noch mehr Symbolik. Zum Teufel damit. Es war fast schon zum Lachen, diese Anhäufung von Zufälligkeiten, aber in dieser Umgebung fiel es schwer, sie lustig zu finden. Ich hängte den Mantel auf und ging zurück zu Nr. 9.
    »Ich dachte schon, Sie hätten die Kurve gekratzt«, sagte Lo. Sie stand vor dem Spiegel und bearbeitete ihr Makeup. Aus einem unerfindlichen Grund verstärkte sie es mit weiteren Zugaben.
    Ich setzte mich an den Tisch und warf ein paar Eiswürfel aus einem Plastikbehälter in
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