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047 - Die letzten Tage von Riverside

047 - Die letzten Tage von Riverside

Titel: 047 - Die letzten Tage von Riverside
Autoren: Jo Zybell
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Simon…« Sie bohrte die Stirn in seine Brust. »Das kann doch nicht sein, das kann Gott doch nicht zulassen…« Tränen erstickten ihre Stimme. »Das kann doch nicht der Wille des Herrn sein…«
    Simon besaß genug Taktgefühl, um sich nicht auf eine theologische Diskussion einzulassen. Schon seit Wochen bemerkte er eine Häufung religiöser Wendungen im Sprachschatz seiner Frau.
    »Die ganze Nacht hab ich davon geträumt«, schluchzte sie. »Ich hab Angst; seit wir dieses Lied gehört haben, hab ich solche Angst…«
    Simon nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und küsste ihr die Tränen aus den Augen. »Welches Lied?«
    »Den alten Stones-Song. Gestern. Wir saßen mit Matt im Esszimmer, aßen sein Lieblingsgericht und Marc spielte This could be the last time… « Wieder brach sie in Tränen aus. »Verstehst du, Darling? Matt besuchte uns, wir aßen Truthahn und Rotkohl, und Marc spielte This could be the last time…«
    Simon nahm ihr die Tasse ab. Eve fiel ihm um den Hals. Ein Heulkrampf schüttelte sie. Sein Blick fiel auf die Titelseite der Zeitung, während er ihren Rücken streichelte.
    Tausende Tote in Rio de Janeiro. Komet wird seinen erdnächsten Punkt vielleicht doch früher erreichen als bisher erwartet, Kollision immer wahrscheinlicher…
    Der Dreiklang an der Haustür ertönte. Eve machte sich von ihm los. Sie zog ein Taschentuch aus dem Morgenmantel, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und schnauzte sich. »Ich mach auf.« Sie zupfte den Gürtel des Mantels zurecht, fuhr sich durchs Haar und lief aus der Küche zur Haustür.
    Simon schmunzelte. Auch das war Eve. Sie konnte von einem Augenblick zum anderen umschalten.
    Draußen hörte er die Haustür aufgehen. »Hi, Mom«, sagte die belegte Stimme seines Sohnes. Unwillkürlich wartete Simon auf das für Liz so typische Wunderbar-siehst-du-aus- Mom! und auf das helle Lachen seiner Schwiegertochter.
    Falsch, dachte Simon, meiner ehemaligen Schwiegertochter.
    Statt Liz' Lachen hörte er das Schluchzen seiner Frau. »Es tut mir so Leid, Darling, so Leid…« Sie weinte laut.
    Plötzlich sah Simon sie vor dem Altar der Lutherischen Kirche von Riverside sitzen - Liz und Matt. Zehn Jahre war das her. Auch damals hatte Eve geweint. Und Matt hatte gestrahlt wie einer, der den Hauptgewinn gezogen hatte. Und die Einsicht, dass alles nur ein einziges Mal geschieht, wirklich nur ein einziges Mal, ließ Simon frösteln.
    Und der Spng ging ihm durch den Kopf.
    Aus seiner Tasse dampfte der Kaffee, draußen im Flur weinten Matt und Eve, auf dem Kalenderfoto hissten Präsident Schwarzenegger und ein paar Bauarbeiter die amerikanische Flagge auf dem neuen World Trade Center, und in seinem Kopf sang Mick Jagger This could be the last time…
    * Mojavewüste, November 2517
    Die Dämmerung verdrängte die Finsternis aus dem Nachthimmel. Aber nicht die Schatten der Vögel. Die zeichneten sich von Minute zu Minute deutlicher ab. Große Vögel, sehr große Vögel kreisten über dem Kakteenhain. Matt zählte sieben Silhouetten am Morgenhimmel.
    »Geier«, sagte er.
    Er kannte sich mit der Fauna seiner alten Heimat aus. Die Silhouetten dort oben - Flügel, Schweif, Kopf - waren eindeutig die des kalifornischen Kondors. »Verdammt noch mal, es sind Geier…«
    Aruula runzelte die Stirn. » Was sind Geier? «
    »Aasfresser. Sie lauern schwachen und sterbenden Kreaturen auf und vertilgen, was der Tod übrig lässt. Geronnenes Blut, totes Fleisch, Knochen.«
    Aruula schien von solchen Vögeln noch nichts gehört zu haben. Das wunderte Matt nicht: Die einst in Europa vorkommenden Geierarten - Mönchs und Gänsegeier - waren in den Jahren vor »Christopher-Floyd« so gut wie ausgestorben. Wie sollten von ihnen Mutationen abstammen, die eine europäische Barbarin hätte kennen können?
    » Sie fressen Kadaver? « Aruulas Stimme klang nicht sehr überzeugt. Sie kauerten zwischen den mehr als mannshohen Kakteen und spähten hinauf zu den Geiern. Schwer zu sagen, wie groß die Vögel waren - Matt und Aruula konnten die Höhe, in der sie flogen, nicht abschätzen. »Zu deiner Zeit vielleicht - aber sagst du nicht selbst immer, alles sei anders geworden?« Sie sah ihn an. Es war inzwischen hell genug, um die Skepsis in ihrer Miene zu erkennen. »Vielleicht sind sie seit Kristofluu ja zu Jägern mutiert?«
    Zu deiner Zeit… Wie das klang - als wäre er ein Relikt einer längst vergangenen Epoche, als dürfte es ihn eigentlich nicht geben. Und beides stimmte auf makabere Weise:
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