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045 - Das Kind des mordenden Götzen

045 - Das Kind des mordenden Götzen

Titel: 045 - Das Kind des mordenden Götzen
Autoren: Brian Elliot
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Kinder während der letzten drei Wochen mühsam auf dem primitiven Handwebstuhl unter dem Vordach der Strohhütte gewebt hatten.
    Nach Viricota verirrten sich an den Markttagen immer einige Touristen, denen Ramirez die Decken zu verkaufen hoffte. Er wußte mit den Motiven, die sie zeigten, nichts mehr anzufangen. Er hatte sie von seinem Vater gesehen, und der hatte sie von seinem Großvater übernommen. Dem Kleinbauern Ramirez sagten die Toltekenkrieger und Mixtekenfürsten, die in kühnen Schattenrissen in den Sisal gewebt waren, nichts.
    Das Maultier trottete mit hängendem Kopf durch den weglosen Staub, der sich ockerbraun und lehmig auf die Haut legte und bei jedem Schritt des Tieres hochwirbelte. Der Marsch ging über verdorrte Erde und graugrün sprießende Kakteenfelder. Die spitzen Dornen auf dem Boden vermochten der Hornhaut unter seinen Füßen nichts anzuhaben. Ramirez litt auch nicht unter der Hitze des frühen Morgens, die der glutende Sonnenball auf seinen gebeugten Rücken brannte. Ramirez döste im Gehen und träumte vom Ende dieses Tages, an dem er vor dem Heimweg in einer kleinen Pulqueria landen und sich wie an jedem Markttag zum Höhepunkt ein Glas gönnen würde, bevor er wieder in die trostlose Gewöhnlichkeit seines Alltags zurückkehrte.
    Die ersten Häuser Viricotas tauchten aus dem Dunst auf. Ramirez ging zielstrebig auf sie zu.
    Viricota war ein kleines Nest mit vielleicht zweitausend Einwohnern. Man konnte es in zwei Autostunden von Oaxaca aus erreichen. Zwei Autostunden, in denen einem Auto alles abverlangt wurde, denn die Straße verdiente diese Bezeichnung nicht. Sie war nur ein Pfad, der sich ständig änderte und in den schwere Fuhrwerke mit zusammengenagelten Holzrädern tiefe Furchen gezogen hatten. Deshalb kam auch niemand nach Viricota. Und wenn ein Fremder kam, dann blieb er nicht lange.
    Die Bevölkerung war ausschließlich indianisch; abgestumpfte, in harter Arbeit verschlissene Indios, die Nachfahren eines einst stolzen Volkes.
    Die Pyramiden von Midas, Zeugnisse einer großen Vergangenheit, waren kaum drei Stunden von Viricota entfernt, doch wenn ein Bewohner der Stadt die antiken Bauten jemals zu Gesicht bekommen hatte, dann stand er vor ihnen wie ein Fremder.
    Die Indios von Viricota waren zumeist Analphabeten und konnten mit Hilfe ihrer Knotenschnüre vielleicht noch bis hundert zählen. Die Schule existierte erst seit zwei Jahren, doch die Lehrerin, eine junge Mexikanerin spanischer Abstammung, wurde von den Dörflern gemieden. In Viricota wollte man nichts Neues. Man wollte unter sich bleiben. Man wollte von der Welt vergessen sein. Wie die Jahrhunderte vorher.
    An all das dachte Ramirez Spela nicht, als er sich in den Staub des Marktplatzes hockte und seine Papayas und Avocados zu kunstvollen Pyramiden auftürmte. Die handgewebten Decken breitete er daneben und wartete auf Kundschaft. Sie kam nur spärlich.
    Eine alte Frau trat an seine Früchte und betastete sie prüfend. Dann legte sie sie wieder zurück. Ramirez schaute nicht einmal auf. Es war noch früh am Vormittag. Ein Land Rover bog auf den Marktplatz und hielt inmitten einer Staubfahne. Er spuckte vier Leute aus. Es waren Fremde. Nordamerikaner. Touristen.
    Eine Frau mittleren Alters, die in einer unförmigen Khakiuniform steckte und einen Tropenhelm auf dem aschblond gefärbten Haar trug, schritt am Arm eines glatzköpfigen Mittfünfzigers rotgesichtig durch die Reihen der Händler, die wie Ramirez aus den Dörfern der Umgebung zum Markttag gekommen waren.
    Vor den Decken Ramirez’ hielt sie an.
    »Wonderful!« kreischte sie und nahm eine der Decken vom Boden auf. Sie unterhielt sich aufgeregt mit ihrem Begleiter, der widerwillig seine Geldbörse aus der Gesäßtasche holte. Er machte sich durch Zeichen verständlich, was er zu zahlen bereit war.
    Ramirez’ Gesicht leuchtete eine Sekunde lang auf. Dann zeigten seine Züge wieder die starre Maske der Hochlandindianer. Der Mann hatte das Doppelte geboten, was er sonst für seine Decken bekam. Wenn Ramirez sich freute, dann wußte das niemand außer ihm. Er strich die Pesos ein und nickte stoisch. Die Frau kreischte noch erfreut, als sie schon um die nächste Ecke gebogen waren. Ramirez nahm die siebzig Pesos und steckte sie beinahe andächtig in den Ledergürtel, den er unter seinem zerschlissenen Hemd auf der Haut trug.
    Die Stunden verrannen.
    Als die Sonne im Zenit stand, erhob sich Ramirez Spela. Die Geschäfte waren gut gewesen. Er hatte alles verkauft.
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