Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0374 - Der Vogeldämon

0374 - Der Vogeldämon

Titel: 0374 - Der Vogeldämon
Autoren: Werner Kurt Giesa
Vom Netzwerk:
zurückgezogen…«
    Linda lächelte verloren. »Dann macht Sandy heute keinen Nacktauftritt am Pool? Was wird denn Sammy sagen? Der hat sich doch bestimmt schon daran gewöhnt.«
    »Ich verschwinde auch wieder«, sagte Pascal. »Ich weiß nicht, wie müde du noch bist. Aber… tu uns allen und vor allem dir den Gefallen und bleib heute nacht im Zimmer, ja? Mach keinen einsamen Spaziergang da draußen.«
    Linda stutzte. »Meinst du, daß es mir so ergehen könnte wie Vivy?«
    »Ja«, sagte er.
    »Ich versprech’s. Ich bleibe hier«, sagte sie. »Grüße Nadine von mir.«
    Er verließ ihr Zimmer. Die Fotografin blieb allein zurück. Sie betrachtete wieder das seltsame Foto. Wie war es zustandegekommen?
    Hoch in der Luft über dem Hotel schrie ein großer Vogel.
    ***
    Sammy, der sudanesische Keeper, machte Feierabend. Heute sah es nicht so aus, als würde es wieder so spät werden. Die Damen und Herren Touristen waren müde, und er saß allein hier draußen.
    Er machte die Abrechnung, verschloß die Getränke und ließ das Gitter herunter. Das reichte vollkommen aus. Sammy pfiff leise vor sich hin und wollte gerade die Hotelterrasse verlassen, als er das Geräusch hörte. Es klang wie das Rauschen großer Flügel.
    Er wandte sich um. Noch während er sich drehte, sagte er sich, daß das eigentlich unmöglich sein mußte. So große Vögel gab es hier nicht wie jenen, dessen Schwingen er hörte. Es mußte etwas anderes sein.
    Da sah er den Vogel.
    Seine Augen weiteten sich. Wo kam das riesige Biest her, das es nicht geben durfte? Eigentlich hätte er es doch schon beim Anflug sehen müssen! Und jetzt…
    Der Vogel jagte auf Sammy zu. Der Sudanese sprang zurück, schlug nach dem Tier und wollte schreien. Aber er blieb stumm. Etwas geschah mit ihm, das er nicht begriff. Er erstarrte. Ein Lächeln erschien auf seinen wulstigen Hängelippen. Er breitete die Arme aus und flog dem Vogel entgegen. Er verschmolz mit ihm, ging in ihm auf und glitt mit ihm nach Südosten davon. Ein lebloser Körper brach neben der Freiluftbar zusammen.
    Im dritten Stock stand eine junge Frau am Fenster und sah mit brennenden Augen dem entschwindenden Vogel nach. Zum zweitenmal hatte sie seinen Ruf vernommen, aber wieder war sie nicht mit ihm eins geworden. Wieder hatte der Vogel eine andere Wahl getroffen.
    Linda Cray war enttäuscht. Sie fühlte sich verstoßen, und sie breitete die Arme aus im Versuch, dem Vogel nachzufliegen und ihn vielleicht doch nicht zu erreichen. Aber dann sanken ihre Arme wieder herab.
    Warum stehe ich hier am Fenster? fragte sie sich, wandte sich mit mechanischen Bewegungen ab und fiel förmlich auf ihr Bett. Sie schlief innerhalb weniger Augenblicke ein, aber sie träumte davon, mit dem großen Vogel zu verschmelzen.
    Daß sie wieder nur durch einen Zufall überlebt hatte, wurde ihr nicht bewußt.
    ***
    Wieder kehrte der Zauberer in den Kreis der Männer zurück, die mit ihm zusammen das Ritual durchführten. Wieder verwandelte er sich zurück in einen Menschen und gab dabei die Kräfte zurück, die die anderen ihm liehen, wodurch sie für die Zeit seines Fliegens in scheintotähnliche Starre verfielen. Wieder trat er dicht an den hölzernen Vogel mit den Regenbogenfedern und berührte den Vogelkopf mit beiden Händen.
    Wieder kam es zum Austausch unfaßbarer, unbegreiflicher Energien. Und die diamantenen Augen der Vogelskulptur glühten heller als zuvor. Es war, als streiche ein Windhauch durch die Federn, die sich weicher anfühlten als Holz.
    »Wieder ist das Werk einer Nacht vollbracht«, murmelte der Zauberer leise und löste seine Hände von der großen geschnitzten Figur. »Und wieder sind wir dem Ziel nähergekommen. Wie viele Nächte werden es diesmal sein? Wie oft noch wirst du durch mich töten?«
    Der Vogel antwortete ihm nicht darauf.
    Aber der Zauberer spürte, daß er stärker geworden war.
    ***
    Wieder träumte Nadine Lafitte von dem riesigen Vogel. Und wieder sah sie in ihm nicht den Tod, sondern… das Leben? Wenn, dann war es ein Leben, wie Menschen es nicht kannten. Sie sah in erschreckenden, grellen Traumbildern, wie ein Mann mit dem Vogel verschmolz, und sie hatte die Empfindung, daß sie gern an seiner Stelle gewesen wäre. Sie sah den Mann nicht sterben. Sein Leben wurde lediglich umgewandelt und ging in etwas anderem auf. In einem Born pulsierender Kraft, die Macht in sich barg und Herrschaft und Unsterblichkeit versprach.
    Nadine verstand nicht, was das bedeutete. Sie begriff nur, daß dieser
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher