Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
036 - Die Hand des Würgers

036 - Die Hand des Würgers

Titel: 036 - Die Hand des Würgers
Autoren: Maurice Limat
Vom Netzwerk:
auf einem Tieflader gebracht und sind mit Ketten festgemacht, damit sie nicht herunterfallen können. Es sind sehr lange Stämme, und es mag stimmen, daß ich mich manchmal nicht besonders geschickt anstelle.
    Eigentlich brauchte man mich deshalb aber noch lange nicht so herumzustoßen. Der Meister ist wütend auf mich, und die Kameraden schikanieren mich. Ich weiß ja selbst, daß ich ein Tölpel bin, aber deshalb sieht man mir auch wieder manches nach.
    Mittags habe ich keinen Hunger. Ich rauche eine Zigarette und trinke ein Glas Wein. Faraud kommt, um sich ein bißchen tätscheln zu lassen. Armer Faraud! Ich würde mich am liebsten bei ihm entschuldigen, weil ich gestern so böse zu ihm war. Auch bei der Katze möchte ich mich entschuldigen. Nein, lieber nicht, weil ich immer noch den Wunsch habe, sie umzubringen.
    Nach der Mittagspause geht die Arbeit wieder weiter. Alles ist mit feinem Holzstaub bedeckt, und deshalb müssen alle Arbeiter Schutzbrillen tragen. Da sie auch über die Ohren gehen, hört man schlecht, und alle Leute müssen schreien, um sich verständigen zu können.
    Die Bretter, Planken, Wurzelstöcke, Latten und Masten sind eine Welt aus Holz, die ermordet, grausam zerstückelt und von den scharfen Zähnen der unerbittlichen Kreissäge zersägt wird.
    Vor mir habe ich eine. Es ist eine runde Scheibe, und wenn sie sich dreht, sieht man nicht mehr die einzelnen Zähne, sondern nur einen schwirrenden, glänzenden Rand. Sie frißt riesige Holzmengen, und wenn die rasende Scheibe einen Stamm zersägt, heult sie schrill. In ein paar Minuten hat sie das zu leblosen Scheiben zersägt, was die Natur in vielen Jahrzehnten hat wachsen lassen.
    Diese Scheibe.
    Wenn sie diese dicken Baumstämme auseinandersägen kann – dann könnte sie bestimmt auch eine menschliche Hand …
    Mir wird übel. Ich sehe vor mir das Beil, den Hackstock, diese mir grotesk vorkommenden Gegenstände aus einem anderen Zeitalter. Wie schrecklich war das doch! Heutzutage könnte man das alles viel schneller machen, viel genauer.
    Nun, wie ist es dann? Wagst du es?
    Die Säge kreischt wieder, und mein Kamerad gegenüber trägt eine schwarze Schutzbrille, weil er so empfindliche Augen hat. Wenn er mich so durch den Sägemehlschleier ansieht, ähnelt er einem Ungeheuer.
    Ich arbeite ein bißchen schneller als sonst, um meine Unpünktlichkeit vom Morgen wieder gutzumachen, aber meine Gedanken schweifen immer wieder ab. Und dann höre ich auch eine Unterhaltung mit an. Mortagne erzählt von seiner Freundin. Mortagne ist ein schöner, kräftiger Bursche, und ich weiß, daß er Hahn im Korb ist bei den Dorfmädchen. „Ah“, sagt er, „du solltest sie sehen! Beine hat sie, sag ich dir, Beine!“ Und dazu lacht er, aber das klingt schmutzig.
    Mortagne erzählt noch viel von Clara. Ich kenne sie. Clara hat Augen wie eine Katze. Ah! Sie hat eine Kneipe und einen Mann, der wesentlich älter ist als sie. Dabei ist sie ein wunderbares Geschöpf, und er ist stocktaub und ziemlich einfältig. Ich glaube, er ist ein noch größerer Dummkopf als ich.
    Und Mortagne hält also Clara in den Armen und küßt sie. Er hat alles, was ich nicht habe und nie haben werde. Ich weiß ja, daß ich mich nicht mit Mortagne vergleichen kann. Und jetzt denkt er immer nur an sie, wie er sie am Abend wieder im Arm halten und küssen wird.
    Jetzt dreht er mir den Rücken zu, und ich habe einen großen Holzklotz in der Hand. Wie leicht es jetzt doch wäre, ihm mit dem Klotz einen Schlag auf den Kopf zu versetzen! Ein einziger Schlag würde genügen.
    Aber der zweite Kamerad kommt schon zurück und ich habe keine Zeit mehr, mir etwas auszudenken.
    Ich beuge mich wieder über die Kreissäge. Ich bin schweißgebadet, und ich muß mich jetzt auch noch beeilen, weil ich zu sehr getrödelt habe. Aber jetzt weiß ich, glaube ich, was ich tun werde.
    Das heißt, was meine Hand tun wird.
    Ich weiß wirklich nicht, und ich schwöre, daß ich es nicht weiß, wie meine Hand nach dem Klotz gegriffen hat. Oder auch wie meine Hand den Klotz gepackt hat, um dem schönen
    Mortagne damit auf den Kopf zu schlagen.
    Was braucht er Clara? Warum hat er mehr Recht als ich, jung zu sein und eine Frau wie Clara zu lieben?
    Ich bin entsetzt. Nein, ich werde doch kein Verbrechen begehen!
    Aber ich bin es ja nicht, der ein Verbrechen begehen will. Es ist ja nur meine Hand.
    Mir scheint, die Säge läuft jetzt immer schneller. Der Bogen, in dem das Sägemehl davonstäubt, wird höher und weiter. Es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher