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032

Titel: 032
Autoren: Die Seiltänzerin
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Leib bemerkten. Deri hatte aufgehört, die Male zu zählen, bei denen das harmlose und schwächliche Aussehen Telor und ihn davor bewahrt hatte, ausgeraubt oder getötet oder bestohlen und umgebracht zu werden, weil die Angreifer nur Verachtung für Telor übrig gehabt hatten. Er vermutete, dass die Leute, die sie für leichte Opfer hielten, den schweren eisenbewehrten Bauernspieß nicht bemerkten. Oder vielleicht glaubten sie, Telor benutze ihn, um sich beim Gehen darauf zu stützen. Der Spieß war eine tödliche Waffe, mit größerer Reichweite als ein Schwert, und gut dafür geeignet, selbst einen behelmten Kopf zu zertrümmern. Das hatte Deri schon miterlebt.
    „Nun?" fragte er. „Glaubst du, es handelt sich bei dieser Auseinandersetzung um ein örtliches Ereignis, oder ist der König ... Es gibt derzeit doch einen König?"
    „Ich glaube, wir hätten in Sir Roberts Burg bleiben, statt weiterreiten sollen", antwortete Telor, ließ sich zu Boden fallen und lehnte sich an die Stallwand. „Sir Robert wäre vielleicht in der Lage gewesen, uns zu sagen, ob es sicher sein würde, an der Veste seines Nachbarn vorbeizureiten."
    Der Spielmann hatte absichtlich Deris verbittert klingende Frage nach dem König nicht beachtet. Er hatte sie begriffen, doch es gab keine Antwort, die er hätte geben und die hilfreich hätte sein können. Durch die immer wieder aufflackernden Kämpfe, die nie ein Ende zu finden schienen, war Deris Leben zerstört worden. Deri war der Sohn eines reichen Freisassen und von seinen Eltern und Geschwistern geliebt worden, obwohl er ein Zwerg war. Diese Liebe hatte ihn davor bewahrt, Verbitterung über seine Missbildung zu empfinden, und seine Kraft und Klugheit hatten ihm - auf Kosten einiger eingeschlagener Schädel - den Respekt der Leute eingebracht, die in benachbarten Herrensitzen und Dörfern lebten. Diese Tugenden sowie die Schönheit seines Gesichts und das ausgeglichene Wesen, das er hatte, wenn er nicht gereizt wurde, hatten ihm eine Braut eingebracht. Und dann war ein Kampf um das Gutshaus seines Vaters entbrannt, nach dem niemand außer Deri noch am Leben gewesen war. Es hatte keine Familie mehr gegeben, keine Braut, kein Haus, kein Land, keine Herden, nichts außer Deri, der geschunden und gebrochen gewesen war, aber zu stark zum Sterben.
    Nachdem seine Peiniger festgestellt hatten, dass er nicht überleben würde, um ihnen als Spielzeug zu dienen, war er von Telor gefunden worden, am Straßenrand liegend wie weggeworfener Abfall, von ihm aufgenommen und gesund gepflegt worden. Das Schlimmste an Deris Schicksal war, dass er keine Ahnung hatte, wer all die Menschen und die Besitztümer, die sein Leben gewesen waren, getötet und verbrannt hatte. Er wusste nicht einmal, wen er hassen solle, abgesehen vom König, der unfähig war, seine Barone zu kontrollieren, und diesen endlosen Krieg ausgelöst hatte. Nichts, was Telor sagte, tröstete Deri, und das, was er hätte äußern können, war schon viele Male vorher gesagt worden.
    Im Übrigen fühlte Telor sich unbehaglich, wenn er nichts als schale Trostworte äußern konnte, da sein Fall so anders war. Seine Angehörigen, talentierte Holzschnitzer in der stark befestigten Stadt Bristol, waren in Sicherheit und lebten in günstigen Umständen. Bristol, eine privilegierte Stadt mit einem schönen Hafen, hatte wenig von einem Earl oder dem König zu befürchten. Jeder wurde dort friedlich aufgenommen, doch wenn die Stadt bedroht wurde, schloss man die großen Stadttore, und die kräftigen Handwerker bemannten die hohen Mauern. Aus dem Fluss schöpfte man endlos Trinkwasser, und die Schiffe brachten Lebensmittel.
    So schützte Bristol, unempfindlich gegen Angriffe oder Belagerungen, seine Bürger.
    Um jedoch den Schutz der Stadt zu genießen, musste man sich dort aufhalten, und Telor fand es einengend innerhalb hoher Mauern.
    Es war nicht so, dass er etwas gegen Mauern als solche einzuwenden hatte. Ihm waren sie ein Symbol für die strengen Verhaltensregeln der Bürger und Garantie für ein friedliches Zusammenleben, obwohl sie in ihren voll gestopften Häusern eingezwängt waren. Die Verbeugungen, das Lächeln, die vorgeschriebenen Worte - Umgangsformen, durch die Nachbarn gut miteinander auskamen - verführten ihn zu Streichen und Aufsässigkeit. Seiner Grobheiten und seines schlechten Benehmens wegen und weil er Instrumente schnitzte, mit denen man Musik machen konnte, und, was noch schlimmer war, selber Musik machte, befand er sich
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