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032

Titel: 032
Autoren: Die Seiltänzerin
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Dirne als Ziel gegeben und als Wahrsager gearbeitet. Außerdem hatte er geplant, wohin man reiste, die Truppe zusammengehalten, die anderen Mitspieler aufgeheitert, sie manchmal getröstet, ihnen manchmal gedroht. Carys war die Zweite in der Rangfolge gewesen.
    Ihr Seiltanz brachte ihr die meisten Münzen ein und von den Zuschauern die lautesten Rufe der Bewunderung. Nach ihr waren die vier Jongleure und Akrobaten gekommen. Sie hatten gewechselt, weil einige fortgelaufen waren und Morgan neue, geschicktere, hatte auftreiben müssen. Die Nächsten in der Hierarchie waren dann die Zwerge gewesen, zwei Brüder, von denen der eine deformierter als der andere gewesen war. Beide hatten jedoch einen großen Buckel gehabt und stark gewölbte Brustkästen. Beide waren klug und so durchtrieben gewesen, dass Carys sich vor ihnen gefürchtet hatte. Und dann war da der kräftige, aber dumme Ulric gewesen, der den zweirädrigen Karren gezogen hatte, dessen Seiten und Boden als Bühne verwendet worden waren, auf der man gespielt hatte. Unterwegs wurden die Kostüme darauf transportiert, und im Allgemeinen auch die Zwerge, die nicht sehr weit und sehr schnell hatten gehen können.
    Die Zwerge waren natürlich in jede Stadt gegangen, in verrückte, viel zu große, zusammengeflickte bunte Sachen gekleidet, die geschlitzt waren, damit man den Stoff darunter sehen konnte, und hatten dabei auf ihre kleinen Trommeln geschlagen. Die kostümierte Truppe war ihnen gefolgt, und jeder Beteiligte hatte eine Kostprobe seines Könnens geboten. Mit tiefen, tragenden Stimmen hatten die Zwerge geschrien: „Die Schausteller kommen! Die Schausteller sind da!" Dabei hatten sie erst auf die eine, dann auf die andere Darbietung gezeigt und fröhlich über die Wunder gelogen, die jeder Akteur vollbringen würde. Morgan hatte sein Messer in die Luft geworfen. Ulric hatte den Karren gezogen, auf dem die Utensilien auf einer Palette gestanden hatten, damit der Wagen doppelt so voll und schwerer wirkte, als er in Wirklichkeit war. Die Jongleure hatten sich bunte Bälle zugeworfen und aufgefangen.
    Aus reiner Lebensfreude hatte Carys irgendetwas getan, das ihr gerade eingefallen war. Sie war auf Händen gegangen, hatte Rad geschlagen oder war vom Karren und manchmal auch von Ulrics Schultern gesprungen und wieder hinauf. Lachend und schreiend war man durch die Straßen gezogen, und die Leute waren aus ihren Häusern, Läden und Werkstätten gekommen und hatten ebenfalls gelacht und geschrien.
    Plötzlich erschauerte Caiys. Es hatte Zeiten gegeben, besonders in kleineren Städten, in denen die Schreie eher Wutgebrüll als Freudengeschrei gewesen waren.
    Dann war vorher eine schlecht geleitete Truppe durchgezogen und hatte Ärger gemacht. Entweder hatten diese Leute gestohlen oder waren in ein ungewöhnlich blutiges Handgemenge geraten, das noch nicht vergessen war. Oder der Ortsvorsteher hatte die Erlaubnis zum Auftreten verweigert, sei es aus einer Art übertrieben religiöser Einstellung oder aus purer Boshaftigkeit oder aus Geiz, oder er hatte Bestechungsgeld verlangt, das Morgan entweder nicht zahlen konnte oder zahlen wollte. Dann war man unter Steinwürfen und einem Schauer von Dreck davongerannt, und manchmal hatte man sogar Prügel bezogen, wenn die Städter allzu wütend gewesen waren.
    Die Erinnerungen an die Furcht, die Carys damals ausgestanden hatte, führten dazu, dass sie Platzangst bekam. Unwillkürlich ergriff sie den Rand des Wehrgangs und erhob sich leise von dem Sparren, auf dem sie gehockt hatte. Einen schrecklichen Augenblick lang hing sie in der Luft, deutlich in jedermanns Sicht, und dann war sie oben und hinüber, huschte so behänd und behutsam, wie es ihr möglich war, in die Schatten des oberen Teils der Palisade auf dem Wehrgang. Dort hockte sie sich zitternd und von neuem weinend hin und versuchte, den Mut aufzubringen, den letzten Schritt zu tun.
    Nicht Mut, sondern Angst war es, die sie schließlich zum Handeln zwang, als sie merkte, dass die Bohlen unter ihr bebten und jemand sich näherte. Erneut bewegte sie sich, ehe sie einen Entschluss gefasst hatte. Mit einer Hand griff sie zwischen zwei angespitzte Holzpfähle, schwang sich hinüber und hing, während sie sich mit der anderen zwi-sehen den nächsten festhielt, an der Wand, verzweifelt auf dem rauen Holz nach Halt für die Füße suchend. Mit einem Fuß fand sie eine Spalte, doch mit dem anderen trat sie ins Leere. Als sie versuchte, eine Hand zu heben, um irgendwo anders
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