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0294 - Das Grauen wohnt in toten Augen

0294 - Das Grauen wohnt in toten Augen

Titel: 0294 - Das Grauen wohnt in toten Augen
Autoren: Rolf Michael
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Die heulenden Pfeiftöne des Samum schrillten wie eine Sinfonie des Irrsinns, zu der ein wahnsinniger Teufel den Taktstock schwang. Der brausende Wind umtoste Sabines Körper und zerrte in ihren Kleidern. Mit aller Kraft mußte sie sich gegen die heranrasenden Böen stemmen, die sie fast von den Füßen gerissen hätten.
    Sie wußte, daß dies das Ende bedeutete. Wer zu Boden fällt, über den legt sich die tödliche Sandschicht.
    Sabine war sicher, daß ihr niemand helfen würde. Denn die Arbeiter waren noch weitaus abergläubischer als Achmed und fürchteten sich vor den Dschinns, den Geistern, die überall in der Wüste lauerten, um ihnen einen Streich zu spielen. Da ein Dschinn andere Vorstellungen von Spaß hat und sein Humor sich sehr von dem unterscheidet, über das ein Mensch lacht, konnten die Streiche eines Dschinns auch tödlich sein.
    Wenn schon Achmed fest an den Spuk glaubte, dann würden sich die Arbeiter erst recht davor fürchten. Für einen kurzen Moment überkam Sabine Janner eine entsetzliche Angst, daß sie stürzen und hilflos liegen bleiben würde.
    Das grausige Ende im Sand war unausweichlich.
    Doch dann hörte das Girl wieder das angstvolle Blöken des jungen Kamels. Aufs Geratewohl ging sie dorthin, woher die Hilfeschreie des Tieres kamen. Durch den flirrenden Schleier aus feinstem Sand sah sie, daß das Dschemmel bereits in die Knie gegangen war. Nur der Kopf ragte noch aus dem Sand, der sich wie ein Leichentuch darüber deckte. Immer kläglicher wurden die Schreie des kleinen Kamels, das sicher erst vor einigen Wochen das Licht der Welt erblickt hatte.
    So schnell es der rasende Sturm zuließ, kämpfte sich Sabine zu dem gefallenen Tier durch. So laut sie konnte, schrie sie Worte, die dem Kamel anzeigen sollten, daß Hilfe nah war.
    Dann war Sabine Janner heran. Sie sah zwei Augen, aus denen ihr nackte Todesangst entgegen starrte. Mit aller Kraft zerrte sie am Kopfgeschirr des Kamels. Das Tier bekam durch die menschliche Nähe wieder neuen Mut. Es warf seinen Körper empor und kam langsam wieder auf die Beine.
    Sabine versuchte, es hinüber zu der Wellblechbaracke zu ziehen, in der die anderen Kamele untergebracht waren. Im Gegensatz zu anderen Sandstürmen verhielten sich die Tiere äußerst ruhig. Sonst machten sie immer einen Höllenlärm, wenn der Samum tobte.
    Gab es etwas, das sie mehr fürchteten als den Sand?
    War die Legende, die Achmed erzählt hatte, etwa doch wahr?
    Sabine Janner sah, wie sich eine unheimliche Woge auf die Bohrstelle zubewegte. So sahen die Flutwellen aus, die aus den Ozeanen kommend gegen die Deiche der Küsten im Norden prallen.
    Doch nun spürte auch Sabine, daß dieser Sand anders war. Er strahlte Leben aus. Dämonenhaftes Leben.
    War dies der Spuk, von dem Achmed ben Mahmoud geredet hatte?
    Kam das Grauen nun heran, um Sabine Janner zu holen?
    »Komm, Dschemmel!« stieß das Girl hervor. »Wir müssen weg sein, bevor die Sandwolke hier ist. Wir müssen…!«
    Weiter kam sie nicht. Denn sie sah, wie das unheimliche Gebilde plötzlich seine Gestalt veränderte. Es war nicht mehr die unwirkliche Welle, die wie eine alles zermalmende Walze auf die Bohrstelle losrollte. Im nächsten Augenblick glaubte das Mädchen, eine ganze Armee lanzenschwingender Beduinen zu sehen, die wildheulend auf die Bohrstelle zugeritten kamen.
    Das waren sie! Es gab sie doch!
    Die Geisterreiter der Wüste.
    Achmed ben Mahmoud hatte recht behalten. Sabine kannte die Mentalität der Beduinen zu genau und wußte, daß kein Beduine bei Sandsturm sein Tier besteigen würde. Die Gefahr war einfach zu groß.
    Schneller, als je ein Reiter ein Pferd oder ein Kamel angetrieben hat, waren die Geisterreiter heran. Sabine klammerte sich in das Kopfgeschirr des kleinen Kamels, das vor Schrecken stumm blieb. Nur in seinen Augen flirrte fürchterliche Angst, und die Flanken des Tieres bebten.
    Waren es Stimmen, die Sabine vernahm, als die Geisterreiter in weiten Kreisen die Bohrstelle umritten. Waren es die alten Schlachtgesänge, mit denen die Ritter der Wüste einst der Fahne des Propheten folgten, um wie ein verzehrender Brand die Lehre des Islam mit Feuer und Schwert zu verbreiten?
    Sabine Janner konnte vor Grauen kein Glied mehr rühren. Sie stand, die Hände in das Kopfgeschirr des kleinen Kamels gekrallt, auf dem freien Platz vor dem Bohrturm. Unmöglich, die normalerweise geringe Distanz von ungefähr hundert Metern zu den Unterkünften der Arbeiter noch zu überqueren.
    Die Kreise, die der
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