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0294 - Das Grauen wohnt in toten Augen

0294 - Das Grauen wohnt in toten Augen

Titel: 0294 - Das Grauen wohnt in toten Augen
Autoren: Rolf Michael
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sich darin tummeln, wie es ihm beliebte. So lautete der Auftrag des Elementargeistes.
    Viele tausend Jahre hatte Asfar hier Sandstürme entstehen lassen. Meistens ließ er ganz normal den Sand aufwirbeln und in einer gewaltigen Walze über die Wüste rollen. Doch manchmal übermannte ihn der Spieltrieb. Und dann schuf er sich zur Abwechslung die Wesen aus Sand, die solange Bestand hatten, wie der Sandsturm dauerte. .
    Wenn es Asfar langweilig wurde oder seine Kräfte erlahmten, hörte der Sandsturm auf, und die geschaffenen Sandwesen zerfielen wieder.
    Lange hatte Asfar dieses Spiel nicht mehr getrieben. Doch zufällig hatte er nach langer Ruhepause festgestellt, daß man hohe Türme in der Sahara errichtet hatte, wo man nach Wasser bohrte. Es war sicher sehr interessant, was diese Menschen zu seinen Künsten sagten. Von den Beduinen wußte er, daß sie sich in ihren Zelten versteckten und zu Allah beteten, daß sie der Spuk verschonen möge.
    Ob sich diese Menschen aus Europa genauso vor seinen Gebilden fürchten würden? Asfar hatte seit langer Zeit zum ersten Mal wieder die Sandkrieger erschaffen und freute sich, daß es ihm so gut gelang.
    Niemand erkannte im Heulen des Sturms das fröhliche Lachen des Dschinns…
    ***
    »Da draußen ist ein Geräusch, das ich kenne!« stieß Sabine Janner erregt hervor. »Aber so kläglich habe ich es noch nie gehört!«
    »Ein junges Dschemmel, das sich verlaufen hat!« sagte Achmed ben Mahmoud düster. »Es ist von der Herde abgekommen, die bereits in ihrer Stallung ist. Nun sucht es seine Mutter und überschreit in seiner Angst den Samum!«
    »Aber das ist schrecklich!« stieß Sabine hervor. »Das kleine Kamel wird sterben. Der Sandsturm ist zu stark. Es wird verschüttet!«
    »Es ist Allahs Wille, wenn es stirbt, Miß Janner!« sagte Achmed mit feierlicher Stimme. »Die Wüste gibt Leben, aber sie nimmt es auch. Das Kamel ist in seiner Angst nicht fähig, den Weg zu der geschützten Stellung zu finden!«
    »Jemand muß nach draußen gehen und es holen!« sagte die Geologin.
    »Unmöglich!« Der alte Araber schüttelte den Kopf. »In meiner Jugend hätte ich vielleicht der Gewalt des Samum getrotzt. Doch nicht jetzt, wo das Unheil in der Luft liegt. Ich bin sicher, daß der reitende Tod bald erscheinen wird!«
    »Aber Achmed! Das ist doch alles nur ein Märchen!« sagte Sabine mit strenger Stimme. »Solche Geisterreiter gibt es nicht. Was einmal tot ist, das wird sich nie wieder zu neuem Leben erheben!«
    »Allah ist mächtig, und nur er gebietet über Leben!« beendete der Araber die Diskussion. »Ich weiß, daß der reitende Tod erscheint. Ich spüre es. Und würden mir alle Schätze des Kalifen Harun al Raschid geboten - ich verlasse dieses Haus jetzt nicht mehr!«
    »Dann werde ich selbst gehen und das kleine Kamel retten!« sagte das Mädchen. Ihre blauen Augen blitzten vor Entschlossenheit.
    »Nein! Das dürfen Sie nicht, Miß Janner!« rief Achmed erschrocken. »Das lasse ich nicht zu! Sie werden sterben, wenn Sie nach draußen gehen!«
    »Dann war es Allahs Wille!« sagte Sabine fest. Sie sah, daß ihr Achmed die Tür verstellte. Doch das Girl war nicht gewillt, sich aufhalten zu lassen. Sie konnte es nicht übers Herz bringen, das kleine Kamel dort draußen seinem Schicksal zu überlassen. Das angstvolle Blöken würde sie noch nach Jahren in Alpträumen verfolgen.
    »Ich werde Sie zwingen, hier in Sicherheit zu bleiben!« krächzte Achmed und versuchte, das Mädchen festzuhalten. Doch Sabine hatte es erwartet und reagierte mit einem fernöstlichen Schlag, der Achmed zusammensinken ließ. Sabine hatte sich, bevor sie nach Libyen ging, von einer Freundin in einschlägigen Verteidigungstaktiken unterrichten lassen. Sie wußte, daß Achmed für eine Weile außer Gefecht war.
    »Ich werde deinen Brummschädel nachher persönlich mit kühlen Umschlägen behandeln!« sagte sie wie entschuldigend, während sie über den regungslos liegenden Achmed ben Mahmoud hinwegstieg.
    Es kostete eine gehörige Portion Kraft, die Tür zu öffnen. Mit einer Hand angelte Sabine sich eine jener Brillen aus Plexiglas, welche die Augen so abdichten. Mit einer solchen Brille kann man auch beim Toben des Sandsturms die Augen öffnen, ohne sofort durch die feinen Sandkörner blind zu werden. Ein langes, weißes Tuch, das sie nach Beduinenart über den Kopf und die Mundpartie geschlungen hatte, schützte die Atemwege.
    Draußen schienen neunzigtausend gelbhaarige Teufel Ringelreihen zu tanzen.
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