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0293 - Im Netz des Vampirs

0293 - Im Netz des Vampirs

Titel: 0293 - Im Netz des Vampirs
Autoren: Manfred Weinland
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dahinter konnte es auch nichts geben. Hinter dem Gebirge war die Welt zu Ende. Dort schlief die Sonne während der Schwarznacht und bereitete sich auf den neuen Tag vor. So sagten es die Überlieferungen der Alten, und weder Pocco noch sonst jemand hatte den geringsten Grund, daran zu zweifeln. Den Alten im Gral kam niemand an Lebenserfahrung und Wissen gleich.
    Rechterhand von Poccos Aussichtsplateau lag der Blutwald mit den urwelthaften Riesenbäumen, in deren Kronen die Flugechsen nisteten.
    Linkerhand breitete sich die Steppe aus, bis hin zum Berg des Gottdämons, der sich einsam inmitten des Kessels erhob, wie ein Irrläufer des Gebirges, das die Wände der Welt verkörperte.
    Ein nach oben hin spitz zulaufender Steinkegel, in dessen Innerem der Gottdämon gehaust hatte, bis er verschwunden war. Obwohl Pocco den Berg nie betreten hatte, wußte er aus den Erzählungen des Grals, daß er innen völlig ausgehöhlt und mit einem unüberschaubaren Gewirr aus Gängen und Sälen ausgestattet war. Genaueres wußte niemand darüber. Kaum einer, der das Gebilde betreten hatte, lebte noch. Die meisten hatten den Berg als geistig Entartete verlassen, denen ein wichtiger Bestandteil ihrer Seele abhanden gekommen war. Selbst nach dem offensichtlichen Verschwinden des Gottdämons war nie ein Yalter auf die Idee gekommen, den Berg freiwillig zu betreten.
    Auch Pocco dachte nicht im Traum daran, hier eine Ausnahme zu machen. Dumm war nur, daß die Fährte des gorgons ausgerechnet in die Richtung des Felsenpalastes führte!
    Vergiß die Angst, flüsterte ihm das Dreiherz zu, das sein Zaudern bemerkte. Du brauchst ein Erfolgserlebnis!
    »Du hast leicht reden«, knurrte der Yalter im Selbstgespräch. »Aber denke daran, daß auch du stirbst, wenn der gorgon die Auseinandersetzung gewinnt - oder wenn mir sonst etwas zustößt.«
    Das ist mir egal, behauptete das Dreiherz.
    »Genau das befürchtete ich ja«, murmelte Pocco gedankenversunken. Doch dann gab er sich einen inneren Ruck. In Ordnung, setzen wir die Jagd fort…
    Das Dreiherz schwieg.
    Der Yalter kletterte zum Fuß des Steinplateaus zurück, das ihm während der Schwarznacht wenigstens einen Hauch von Schutz geboten hatte.
    Das rote Auge der Sonne hatte sich inzwischen vom Horizont befreit und wuchs dem Zenit entgegen.
    Pocco beschloß, keine weitere, wertvolle Zeit mehr zu verlieren. Der Tag ging rasch dahin, die Schwarznacht kam immer zu schnell. Er suchte den Verlauf der Fährte, die er am Abend nicht mehr hatte weiterverfolgen können.
    Die Stahlschleuder wog schwer an seinem Gürtel, und in seinem derben Gesicht stand grimmige Entschlossenheit, als er, die Sonne im Rücken, losmarschierte.
    Dem verwaisten Palast des Gottdämons entgegen…
    ***
    Der Strick schnürte ihm fast die Kehle zu. »Muß das sein?« fragte Zamorra mit Resignation in der Stimme, weil er die Antwort schon kannte.
    »Jawohl!« bestimmte Nicole und hauchte ihm einen Kuß auf die Wange. »Der Kulturstrick bleibt. Die Leute erwarten das von einem Professor!«
    »Aber doch nicht diese Leute«, widersprach Zamorra matt. »Nicht unsere Leute im Dorf! Die kennen mich doch…«
    »Eben!« versetzte die aparte Französin, während sie sich wieder ihrem Make-up zuwandte, das sie nie und nimmer gebraucht hätte, um Aufsehen zu erregen. Dazu reichte in aller Regel ihre abenteuerliche Garderobe. So auch an diesem Abend. Trotz herbstlicher Temperaturen ließ sie es sich nicht nehmen, ein todschickes schwarzes Abendkleid mit einem Dekolleté zu tragen, das fast bis zum Nabel reichte… That’s shocking, wie die Engländer zu sagen pflegten.
    Zamorra regte sich darüber weniger auf als über die Tatsache, daß er sich schon wieder keinen »richtig gemütlichen Abend« machen konnte, sondern mit dieser verkappten Hundeleine herumlaufen sollte. Wenn er etwas noch weniger mochte als Nicoles Einkaufstick und Modespleen, dann waren es Krawatten !
    »Es wird Zeit, daß du anfängst, an deinem guten Ruf zu arbeiten«, fuhr sein bezauberndes Ärgernis fort, das außer seinen Funktionen als Sekretärin und »Zusatzgedächtnis« noch viele bemerkenswerte Talente in sich vereinte…
    »Du hast es nötig…«, murmelte Zamorra zerknirscht.
    »Komm, sei lieb«, rief Nici und gab ihm noch ein Busserl auf die andere Wange, damit sich der Lippenstift auch gleichmäßig verteilen konnte. »Der Abend fängt doch erst an, und wir wollen doch nicht schon sauer auf dem Fest ankommen, hm?« Sie blinzelte Zamorra treuherzig an.
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